Regime bereitet Giftgaseinsatz gegen Bevölkerung vor

(c) REUTERS (HANDOUT)
  • Drucken

Abtrünniger Chef des Chemiewaffenprogramms berichtet von Planspielen, an denen auch iranische Experten beteiligt gewesen sein sollen. Eine Weitergabe von C-Waffen an die Hisbollah-Miliz sei diskutiert worden.

Kairo/Damaskus. Im syrischen Bürgerkrieg droht eine neue Stufe der Eskalation. Das Regime habe Pläne, als „letztes Mittel“ im Kampf gegen die Rebellen auch Giftgas gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, erklärte der ehemalige Chef des syrischen Chemiewaffenprogramms, Generalmajor Adnan Sillu, gegenüber der „Times“.

Sillu desertierte vor drei Monaten in die Türkei und gehört seitdem dem Oberkommando der „Freien Syrischen Armee“ an.

Bei Lagebesprechungen im zentralen Giftgasdepot nahe Damaskus habe es „ernsthafte Diskussionen über die Nutzung von Chemiewaffen gegeben, einschließlich wie und wo sie eingesetzt werden sollen“, sagte er. Als möglicher Anlassfall sei debattiert worden, wenn das Regime die Kontrolle über eine wichtige Region wie Aleppo verlieren sollte. Gleichzeitig erwäge die Regierung, Giftgas für Raketen an die pro-iranische Hisbollah-Miliz im Libanon weiterzureichen. Wenn ein Krieg zwischen Hisbollah und Israel ausbräche, so das Kalkül, wäre das für Syrien von Vorteil. Als Reaktion hielt Israels Armee am Mittwoch an der Nordgrenze überraschend ein eintägiges Manöver ab.

Krach im inneren Kreis

Innerhalb der alawitischen Führungselite rund um Präsident Bashar al-Assad gibt es nach Angaben des Senders „Al Arabiyya“ offenbar zunehmend Auseinandersetzungen. Interne Kritiker befürchten, dass ihre Minderheitenvolksgruppe nach einem Sturz des Regimes einem Rachefeldzug der sunnitischen Mehrheit ausgesetzt sein werde. Unter Berufung auf eine hochrangige Quelle berichtete der Sender, die Schwester des Präsidenten, Bushra al-Assad, habe sich am Wochenende mit ihren Kindern nach Dubai abgesetzt. Ihr Mann Assef Shawqat war Mitte Juli bei einem Bombenanschlag in Damaskus getötet worden.

Amnesty International warf dem syrischen Regime derweil vor, Wohnviertel der Zivilbevölkerung immer wahlloser aus Panzern, mit Artillerie und Flugzeugen zu beschießen, auch wenn sich in den Häusern keine Kämpfer der „Freien Syrischen Armee“ verschanzt hielten. Der Bericht fußt auf Augenzeugenberichten in den Regionen von Idlib und Hama aus den ersten elf Septembertagen. Er wirft aber auch der „Freien Syrischen Armee“ vor, mit ihren Operationen das Leben von Zivilisten zunehmend zu gefährden.

Syrien besitzt neben den USA, Russland und Nordkorea vermutlich das größte Chemiewaffenarsenal der Welt, genaue Daten gibt es freilich nicht. Nach Angaben von Sillu waren auch Mitglieder der iranischen Revolutionären Garden bei zahlreichen Treffen dabei: „Sie haben uns ständig Wissenschaftler geschickt.“ Auch seien die Iraner an den politischen Debatten beteiligt gewesen, wie die Chemiewaffen eingesetzt werden sollten.

Erste Übungen schon im August?

Anfang der Woche hatte „Der Spiegel“ unter Berufung auf Zeugen berichtet, Syriens Armee habe Ende August nahe Aleppo das Verschießen von Granaten getestet, die mit Gift gefüllt werden können. Dazu seien eigens iranische Waffenexperten eingeflogen worden.

Syrien hat vier Produktionsstätten für Giftgas nahe den Städten Aleppo, Latakia, Homs und Hama. Darüber hinaus gibt es mindestens 40 Depots, die über das ganze Land verstreut sind.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.