Türkei: Der ungeliebte "Krieg der AKP"

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ungeliebte Krieg(c) REUTERS (MURAD SEZER)
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Selbst Anhänger des türkischen Premiers Erdoğan halten den offensiven Kurs gegenüber Syrien für falsch. Einen Einmarsch sowieso. Nach einer aktuellen Umfrage lehnen zwei Drittel der Wähler die Linie Erdoğans ab.

Mehmet Yilmaz schüttelt den Kopf. „Wir sollten uns da ganz raushalten“, sagt der Mittfünfziger aus der türkischen Metropole Istanbul. Mehr als 20 Jahre war Yilmaz, der in Wirklichkeit anders heißt, bei der Armee. Als Pilot steuerte er Kampfhubschrauber während der schlimmsten Jahre des Kurdenkriegs in Südostanatolien. Er hat mit eigenen Augen gesehen, was ein Krieg anrichten kann. Und jetzt befürchtet er, dass die Türkei in einen neuen Krieg mit dem Nachbarn Syrien hineinschlittert. „Wenn wir nach Syrien gehen, kommen wir da so schnell nicht mehr raus.“

Yilmaz steht mit seiner Sorge nicht allein: „Nein zum Krieg“, skandieren tausende Demonstranten am zentralen Taksim-Platz. Im gerade vom türkischen Parlament beschlossenen Mandat für eine Intervention der Armee in Syrien sehen sie den ersten Schritt zum Krieg. Die Kritiker befürchten, dass die Lage nach dem Tod von fünf türkischen Zivilisten durch syrischen Beschuss der Grenzstadt Akcakale und dem anschließenden Vergeltungsschlag der türkischen Armee mit Artillerie weiter eskalieren könnte. Auch in Ankara und anderen Städten wird demonstriert, in der Hauptstadt setzt die Polizei Tränengas ein, um die Kundgebungsteilnehmer an einem Marsch aufs Parlament zu hindern.


Breite Skepsis. „Der Krieg der AKP“ sei das, steht auf einem Transparent bei der Demo in Istanbul. Die machtgewohnte Regierungspartei von Premier Recep Tayyip Erdoğan, die in den vergangenen zehn Jahren drei Wahlen souverän gewann, hat bei der Kundgebung am Taksim einen schweren Stand. Erdoğan mag versucht sein, die Proteste als Reaktion einiger vaterlandsloser Gesellen abzutun. Der Premier ließ erkennen, dass er die Angelegenheit tatsächlich so sieht. Die Gegner des Syrien-Mandats hätten vor der Geschichte versagt, erklärte er.

Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Die Skepsis gegenüber der Syrien-Politik der Regierung geht quer durch die Gesellschaft und betrifft auch die AKP-Wählerschaft. Nach einer aktuellen Umfrage lehnen zwei Drittel der Wähler die Linie Erdoğans im Syrien-Konflikt ab – selbst jeder dritte AKP-Wähler ist dagegen, was die Regierung in Sachen Syrien unternimmt.

Ganz besonders groß ist der Widerstand in der Grenzprovinz Hatay im Süden der Türkei. Dort halten sich die meisten syrischen Flüchtlinge in der Türkei auf – ausgerechnet in einer Gegend, in der viele arabisch-alawitische Muslime leben. Auch die syrische Elite um den Assad-Clan gehört der alawitischen Religion an, und so hat Assad in Hatay etliche Anhänger. Die syrischen Flüchtlinge dagegen sind überwiegend Sunniten, die sich zur Opposition gegen Assad zählen.

Bei Demonstrationen in Hatay machte sich schon in den vergangenen Wochen der Unmut über die Anwesenheit der Syrer Luft. Die Regierung in Ankara reagierte rasch – und leitete eine Umsiedlung von Flüchtlingen in andere Gebiete der Türkei ein.


An der Wahlurne begraben. Auch in Akcakale, Brennpunkt der militärischen Auseinandersetzungen zwischen Syrern und Türken in den vergangenen Tagen, bekam die Regierung die Wut der Bevölkerung zu spüren. Die Toten des syrischen Angriffs seien in den Herzen der Menschen begraben worden – „die Politiker begraben wir an der Wahlurne“, stand auf einem Spruchband, das während eines Beileidsbesuches von Arbeitsminister Faruk Celik in Akcakale entrollt wurde.

Die Menschen in Akcakale fühlen sich von der Politik alleingelassen. Schutzlos seien die Bewohner den syrischen Querschlägern ausgesetzt gewesen, die seit Wochen immer wieder einschlugen. „Wir wurden unserem Schicksal überlassen“, sagt ein Arbeiter.

Die Opposition in Ankara argumentiert ebenfalls, die Regierung habe die Sicherheit der Türkei und ihrer Bürger aufs Spiel gesetzt, indem sie sich im Syrien-Konflikt so glasklar auf die Seite der Assad-Gegner gestellt habe. Auch der traditionelle Anti-Amerikanismus der türkischen Linken spielt bei der Kritik eine Rolle. In linksgerichteten türkischen Tageszeitungen wird die Erdoğan-Regierung regelmäßig als „Subunternehmer“ Washingtons beschimpft. Der Premier werde von den USA vorgeschickt, um Syrien nach Washingtons Wünschen neu zu ordnen, ohne dass sich die Amerikaner dabei die Finger schmutzig machen müssten, lautet der Vorwurf. „Mörder USA“ stand auf Schildern der Demonstranten auf dem Taksim.

Auch Mehmet Yilmaz, der ehemalige Hubschrauberpilot, ist der Ansicht, dass „imperialistische Mächte“ hinter der Syrien-Krise stehen. Die Türkei solle in einen Krieg hineingeschubst werden, damit der weitere Aufstieg des Landes zur regionalen Führungmacht verhindert werde, sagt er.

Was alle Erdoğan-Kritiker verbindet, ist die Befürchtung, dass die Regierung und ein Teil der Medien versuchen, eine Hurra-Stimmung für einen Krieg zu erzeugen. In einem Krieg würden die Entscheidungen immer von jenen getroffen, die selbst nicht befürchten müssten, ums Leben zu kommen, schrieb der Chefredakteur der unabhängigen Tageszeitung „Taraf“. Für die Regierung hat er eine Warnung parat, die auch der Ex-Pilot Yilmaz teilt: „Es ist schwerer, einen Krieg zu beenden, als ihn zu beginnen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.10.2012)

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