Das Ende der US-Dominanz in Nahost

Angreifer stuermen US-Botschaft im Jemen
Angreifer stuermen US-Botschaft im Jemendapd
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Ob Wandel in der arabischen Welt oder Israels Konflikt mit dem Iran: Der nächste US-Präsident wird die Ereignisse in der Region nicht mehr formen können.

Noch sind sie mit den Folgen des Sturmes „Sandy“ beschäftigt. Aber wie immer der nächste US-Präsident heißen wird, ob Barack Obama oder Mitt Romney, der Nahe Osten und die arabische Welt werden gewollt oder ungewollt auch in Zukunft im Fokus der zukünftigen US-Außenpolitik stehen.

Abgesehen von einem kurzen Streit der Präsidentschaftskandidaten über die Ursachen der Ermordung des US-Botschafters Chris Stevens in der ostlibyschen Stadt Bengasi und dem üblichen Gelöbnis beider, Israel zu unterstützen, spielte das Thema Nahost im Wahlkampf kaum eine Rolle. „Wir müssen die Bösen jagen“, erklärte Romney seine Nahost-Strategie, „wir müssen sie töten und sie beseitigen.“ US-Präsident Obama gab sich staatsmännischer: „Im Hinblick auf den Nahen Osten brauchen wir eine starke, konstante Führung und nicht eine waghalsige und falsche, wie sie Romney anbietet, die kein Rezept für Amerikas Stärke darstellt“, sagte er und stellte sich als Oberkommandierender dar, der in den vergangenen vier Jahren für die Sicherheit der Amerikaner gesorgt habe.

Kooperation mit Golf-Autokratien

Ein Wahlkampfgeplänkel, das wenig aussagt angesichts der Tatsache, dass der nächste Präsident im Hinblick auf die Region Nahost vor einer riesigen Aufgabe steht: Nachdem Washington einen Teil seiner Diktator-Vasallen verloren hat, auf deren vermeintliche Stabilität die US-Politik jahrzehntelang gesetzt hatte, geht es nun darum, eine neue Strategie für die sich wandelnde arabische Welt zu entwickeln.

Noch immer unterstützt die US-Regierung autokratische Regime wie Saudiarabien, während sie mit den Ländern im Wandel wie Ägypten, Libyen und Tunesien zwar im Dialog steht, aber zu ihnen noch keine neuen strategischen Beziehungen aufgebaut hat. Zu den Ländern, in denen der Bürgerkrieg oder der Aufstand tobt, wie Syrien oder Bahrain, gibt es derzeit überhaupt keine erkennbare US-Linie.

Aber immerhin, Obama habe etwas aus früheren Fehlern gelernt, meint der Politologe Amr Hamzawy, der auch als liberaler Abgeordneter im inzwischen aufgelösten ersten ägyptischen Parlament der Nach-Mubarak-Zeit saß. „Als einst die palästinensische Hamas die Wahlen gewonnen hat, wurde sie von Washington boykottiert. Heute ist das Verhalten der US-Regierung gegenüber islamistischen Strömungen, die die Wahlen in Ägypten und Tunesien gewonnen haben, wesentlich ruhiger“, sagt Hamzawy zur „Presse“. „Heute stellen sich die Amerikaner dem arabischen Demokratisierungsprozess nicht mehr entgegen, sondern begleiten ihn.“

„USA sind diskreditiert“

Wäre in den fast zwei Jahren seit Beginn des arabischen Aufstandes ein Republikaner im Weißen Haus gesessen, hätte Washington den Wandel wahrscheinlich blockiert und aus Sorge vor islamistischen Machtergreifungen die damaligen Präsidenten bis zuletzt unterstützt, glaubt der Politologe. Er warnt davor, dass sich die USA in der Region in Zukunft als demokratische Lehrmeister präsentieren. Denn sie seien als langjährige Unterstützer autokratischer Regime diskreditiert. „Und die Golfregion ist nicht weit weg“, fügt er hinzu. Ein Hinweis, dass Washington dort seine Unterstützung nicht demokratischer Regime weiterführt.

Romney will mehr Hilfe für Israel

Hatte Obama zu Beginn seiner Amtszeit noch Israels Siedlungsbau kritisiert, ist es darum im Weißen Haus inzwischen ganz still geworden. Aber hinsichtlich des Iran will Obama sich vom israelischen Premier Benjamin Netanjahu keine „roten Linien“ diktieren lassen, bei denen Washington zum militärischen Handeln gezwungen werden könnte. Sein Gegenkandidat Romney hat versucht, diese Differenzen im Wahlkampf auszunutzen und fordert noch mehr Unterstützung für Israel und ein härteres Vorgehen gegen den Iran.

Was Syrien angeht, erklärt Obama die Ereignisse dort als „herzzerreißend“. Das sei der Grund, warum er alles unternehmen wolle, um die syrische Opposition zu unterstützen. Im Moment versucht das US-Außenministerium gerade, ein neues syrisches Oppositionsbündnis zusammenzuzimmern, als Alternative zum bisherigen ineffektiven und von der Muslimbruderschaft dominierten Syrischen Nationalrat. Romney fordert noch mehr US-Einmischung in Syrien, ohne dies allerdings näher zu erläutern.

„Unser Land scheint den Ereignissen ausgeliefert zu sein, anstatt sie selbst zu bestimmen und zu formen“, wirft Romney Obama in einem Beitrag im „Wall Street Journal“ vor. Ob es unter seiner Präsidentschaft anders wäre, ist zweifelhaft. Denn der Gewinner der US-Wahl kann den Wandel in der arabischen Welt begleiten oder versuchen, ihn zu blockieren. Die Zeiten, in der das Weiße Haus per Anweisung an den Diktator die Ereignisse in der Region formen konnte, die sind vorbei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2012)

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