Die chronisch zerstrittene syrische Opposition schmiedete ein neues Bündnis, die Nationale Koalition. Ohne Druck von außen wäre es nicht zustande gekommen. Wie schlagkräftig ist die Allianz?
Kairo. Monatelang war die Konferenz verschoben worden, eine Woche lang wurde jetzt in Katars Hauptstadt Doha bis tief in die Nacht hinein hinter verschlossenen Türen gefeilscht. Am Ende einigte sich die chronisch zerstrittene syrische Opposition zum ersten Mal seit Beginn des Volksaufstandes auf eine Gesamtführung.
Die neue Nationale Koalition ersetzt den bisherigen Syrischen Nationalrat (SNC), bezieht Regimegegner innerhalb des Landes stärker mit ein und beschneidet den bisher äußerst großen Einfluss der langjährigen Exilvertreter. Zudem beschlossen die Assad-Gegner, eine gemeinsame Militärzentrale zu etablieren, um dem wachsenden Einfluss jihadistischer Kampfgruppen unter den Bewaffneten entgegenzuwirken. Einen Dialog mit dem Baath-Regime jedoch schlugen die Delegierten in ihrem Abschlusskommuniqué erneut kategorisch aus.
Geführt wird das Bündnis von dem moderaten Scheich Moaz al-Khatib, der erst vor drei Monaten aus Damaskus über Kairo nach Doha geflohen war. Der 52-jährige Sunnit gehört der Sufi-Bewegung an und brachte es bis zum Prediger an der historischen Omayyaden-Moschee in Damaskus. Wegen kritischer Äußerungen sperrte das Regime ihn mehrmals für kürzere Zeit ein. Als neuer Präsident der Opposition rief er nun alle syrischen Soldaten auf zu desertieren. Und er appellierte an alle religiösen Bevölkerungsgruppen, sich zusammenzuschließen.
Posten für Kurden frei gelassen
Zu seinen Stellvertretern gewählt wurden der prominente Dissident Riad Seif aus Damaskus und die Aktivistin Suhair al-Atassi aus Homs. Riad Seif war 2001 nach dem Amtsantritt von Bashar al-Assad einer der Architekten des Damaszener Frühlings, einer Reformbewegung, die bald danach unterdrückt wurde. Der 66-Jährige, der an Krebs leidet, saß für seine Überzeugungen insgesamt acht Jahre im Gefängnis. Im Juni 2012 ging er dann ins Exil, nachdem er von Regimeschlägern mehrfach auf offener Straße verprügelt worden war. Suhair al-Atassi stammt aus einer sunnitischen Notablenfamilie aus Homs, der Hochburg der Aufständischen. Mit ihr gehört zum ersten Mal eine Frau zur Führungsspitze der Regimegegner. Ein dritter Stellvertreter soll aus den Reihen der Kurden kommen, sein Platz jedoch blieb zunächst vakant.
Das bisherige Oppositionsbündnis, der von den Muslimbrüdern kontrollierte Syrische Nationalrat, wird damit an den Rand gedrängt. Einer der Gründe, warum das Zusammenzimmern des neuen Oppositionsbündnisses keine einfache Angelegenheit ist. Immerhin: Der Syrische Nationalrat soll 22 von insgesamt 60 Sitzen im neuen Oppositionsbündnis erhalten. Es gilt also das Einschluss– und nicht das Ausschlussverfahren. Ob der Nationalrat die neue Allianz nicht trotzdem als Konkurrenzunternehmen ansieht und sabotiert, bleibt abzuwarten.
Proamerikanisches Image
Das größte Manko des Bundes: Ihm haftet das Image an, vom US-Außenamt zusammengebastelt worden zu sein. Ohne Druck von außen wäre wahrscheinlich gar nichts passiert. Das Regime wird nun versuchen, die neue Oppositionsbewegung als Agenten des Westens zu diskreditieren.
Beweisen muss sich das Bündnis nun zuallererst in Syrien selbst. Kann es all die freiberuflichen Kämpfer unter eine gemeinsame Kommandostruktur in Syrien stellen? Schafft es die Allianz, eine Übergangsregierung zu bilden, die die politischen Direktiven im Land vorgibt und die in dem Moment da ist, in dem in Syrien nach einem möglichen Sturz Assads ein Machtvakuum entsteht?
Angst vor einem Sturz Assads
Gelingt es ihr, genug internationale Anerkennung zu erringen, um damit den syrischen Aufstand zu stärken? Und: Kann das Bündnis den Syrern die Angst vor einer Zeit nach Assad nehmen? Einer der Gründe, warum viele Syrer und vor allem auch Armeeangehörige dem Regime bis heute die Stange halten.
Eine Vision für die Zeit nach Bashar al-Assad wäre der wertvollste Beitrag dieser neuen Koalition. Schafft sie das, dürfte das Ende Assads in dieser Woche um einen entscheidenden Schritt näher gekommen sein.
Zur Person
Moaz al-Khatib ist Vorsitzender des neuen syrischen Oppositionsbündnisses. Der 52-Jährige floh vor drei Monaten aus Damaskus. Er war Prediger in der Damaszener Omayyaden-Moschee, bevor er wegen kritischer Äußerungen mehrfach verhaftet wurde.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.11.2012)