Die Schlappe bei der UNO in New York sorgt in Jerusalem für Kopfzerbrechen. Premier Netanjahu kritisiert die „feindliche Rede“ von Palästinenserpräsident Abbas.
Jerusalem. Das überragende Votum vor der UN-Vollversammlung zugunsten der Palästinenser zeigt, dass Israels Regierung zunehmend international isoliert ist. Nur neun UN-Mitgliedstaaten, darunter Israel selbst, stimmten in der Nacht zum Freitag gegen den Antrag der Palästinenser auf Anerkennung als UN-Beobachterstaat ohne Mitgliedschaft. 138, darunter die Schweiz und Österreich, gaben den Palästinensern ihre Rückendeckung. 41 Staaten, darunter Deutschland, enthielten sich.
Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu ließ mit einer Verurteilung von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas nicht auf sich warten. Abbas' Rede vor der UNO in New York sei „feindlich und giftig“ gewesen und „voller verlogener Propaganda“, sagte Netanjahu. Israels Außenminister Avigdor Lieberman hatte zuvor den Antrag der Palästinenser in New York als „politischen Terror“ bezeichnet. Die israelische Tageszeitung „Yediot Achronot“ machte in großen Lettern mit den Worten „Staat Palästina“ auf.
Neben der diplomatischen Schlappe und dem wachsenden internationalen Unmut über Israels Festhalten am Siedlungsbau fürchtet man in Jerusalem nun auch internationale Gerichtsverfahren. Zudem deutet sich bei den Palästinensern eine Annäherung zwischen den beiden zerstrittenen Fraktionen, der Fatah von Abbas und der islamistischen Hamas, an.
Abbas kündigte Besuch in Gaza an
Das UN-Votum sei „keine Kriegserklärung“, betonte ausgerechnet Nasser Eddin Shaer, Hamas-Funktionär im Westjordanland, während einer Kundgebung in Ramallah, an der auch Vertreter des „Islamischen Jihad“ teilnahmen. Die Begeisterung der Palästinenser über die Abstimmung in New York hielt sich insgesamt in Grenzen. Nur einige tausend Menschen, mehrheitlich Fatah-Aktivisten, versammelten sich in der Stadt Ramallah im Westjordanland, in der die Führung von Abbas ihren Sitz hat. Im Gazastreifen erlaubte die Hamas zum ersten Mal seit den blutigen Auseinandersetzungen vor fünf Jahren die Beteiligung von Fatah-Aktivisten bei einer Kundgebung.
Khaled Meshaal, Politbürochef der Hamas, kündigte einen „zweigleisigen Widerstand gegen die Besatzung“ an: politisch auf internationaler Bühne und militant, wie jüngst im Gazastreifen. Meshaal zeigte sich optimistisch, dass das UN-Votum den innerpalästinensischen Versöhnungsprozess zwischen Hamas und Fatah vorantreiben werde. Auch Ismail Hanijeh, Hamas-Chef im Gazastreifen, hatte den Antrag bei der UNO unterstützt. Das UN-Votum festige eine „Delegitimation der Besatzer“ und das „Rückkehrrecht der Palästinenser“, sagte Hanijeh zur BBC. Abbas kündigte noch am Donnerstag seinen Besuch im Gazastreifen an, um den Konflikt mit der Hamas beizulegen. Es wäre seit den blutigen Machtkämpfen seine erste Reise dorthin.
USA zeigen sich enttäuscht
Abbas hatte in seiner Ansprache an die UN-Generalversammlung appelliert, „die letzte Chance für die Zweistaatenlösung“ wahrzunehmen und dem Staat Palästina eine „Geburtsurkunde“ auszustellen. Zugleich verurteilte er die israelische „Belagerung, die Siedlungen und die ethnische Säuberung“.
Die amerikanische Außenministerin Hillary Clinton zeigte sich offen enttäuscht über den „unglücklichen und kontraproduktiven“ Schritt der Palästinenser, der nun wieder neue Hindernisse auf dem Weg zum Frieden aufstelle.
Auf einen Blick
138 Staaten stimmten für eine Aufwertung der Palästinensergebiete. Darunter: Belgien, Österreich, Frankreich, Italien, Spanien.
Neun Staaten stimmten dagegen: Israel, die USA, Kanada, Tschechien, Palau, Panama, Nauru, Mikronesien, die Marshallinseln.
41 Staaten enthielten sich der Stimme. Darunter: Australien, Deutschland, Südkorea, Großbritannien, Ungarn, Slowenien, Polen, die Slowakei, Niederlande, Bulgarien, Rumänien.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2012)