Der Konflikt in Syrien wirkt sich auch auf die Kurden-Frage aus. Die Türkei betrachtet mit Argwohn, dass eine Schwesterpartei der PKK in Syrien an Einfluss gewinnt. Jetzt verhandelt Ankara mit PKK-Chef Abdullah Öcalan.
Die Fronten des Konflikts in Syrien scheinen klar: Auf der einen Seite steht das Regime von Bashar al-Assad, das sich an die Macht klammert; auf der anderen Seite steht die Opposition, die in zahlreiche Fraktionen aufgesplittert ist. So unterschiedlich die ideologischen Ausrichtungen dieser einzelnen Gruppen auch sein mögen: Sie alle wollen, dass Assad geht – und einige islamistische Rebellen möchten, dass mit ihm die gesamte religiöse Minderheit der Alawiten verschwindet, der der Machthaber angehört.
Doch die Auseinandersetzung in Syrien bringt offenbar auch Bewegung in einen anderen Konflikt, der schon seit Jahrzehnten die gesamte Region beschäftigt: in das Kurden-Problem. Durch die Wirren des Krieges gelingt es den Kurden im Nordosten Syriens, sich dem Zugriff der Zentralregierung zunehmend zu entziehen.
Schätzungen zufolge leben etwa 24 Millionen Kurden verteilt auf die Staaten Türkei, Iran, Irak und Syrien. In diesen Ländern kämpfen zahlreiche Kurden-Bewegungen für mehr Eigenständigkeit.
•Türkei. Der Großteil der Kurden lebt in der Türkei. Hier ist seit den Achtzigerjahren die türkisch-kurdische Untergrundbewegung PKK aktiv. In Ankara betrachtet man mit Argwohn, dass nun in den kurdisch besiedelten Teilen Syriens die „Partei der Demokratischen Union“ PYD ihre Macht ausbaut – denn die PYD ist eine Schwesterorganisation der PKK.
Um den Konflikt mit der PKK zu entschärfen, hat der türkische Staat nun offenbar Gespräche mit Abdullah Öcalan aufgenommen. Öcalan war jahrelang der unumschränkte Führer der PKK. Seit 1999 sitzt er in einem türkischen Gefängnis, doch er ist nach wie vor die wohl einflussreichste Person in der Untergrundbewegung.
•Irak. Als Vermittler im Konflikt Ankaras mit der PKK fungierte zuletzt der Präsident der autonomen Kurdenregion im Nordirak, Massud Barzani. Die Kurden hatten tatkräftig am Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein mitgewirkt. Dafür wurde ihre autonome Region als Bestandteil des neuen Irak anerkannt. Anfangs betrachtete die türkische Regierung die Kurdenregion als Gefahr – aus Angst, das Streben der türkischen Kurden nach Eigenständigkeit könnte weiter angefacht werden.
Mittlerweile gilt Barzani als Freund des türkischen Premiers, Recep Tayyip Erdoğan. Und türkische Firmen machen in der Kurdenregion ausgezeichnete Geschäfte. Sie gilt als sicherstes Gebiet im Irak. Ein Pfeiler dieser Stabilität ist auch, dass der jahrelange Machtkampf innerhalb der irakischen Kurden begraben wurde: Während Barzani die Führung der Kurdenregion übernahm, wurde sein Konkurrent Jalal Talabani Staatspräsident des Irak. Jetzt liegt Talabani nach einem Schlaganfall im Koma. Nach seiner Ära könnte erneut Streit zwischen seiner „Patriotischen Union Kurdistans“ und Barzanis „Demokratischer Partei Kurdistans“ ausbrechen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2013)