Krawalle in Nordirland: Union Jack wühlt Belfast auf

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Weil das Symbol des Vereinigten Königreichs nur mehr an ausgewählten Tagen am Rathaus der nordirländischen Hauptstadt Belfast wehen soll, gibt es seit einem Monat mitunter gewaltsame Proteste.

Wien/Belfast. Wenn Kate Windsor, die schwangere Herzogin von Cambridge, am Mittwoch Geburtstag feiert, wird zu ihren Ehren am Rathaus der nordirischen Hauptstadt Belfast der Union Jack gehisst.

Das stört ausgerechnet die pro-britischen Unionisten. Ginge es nach ihnen, würde das Symbol des Vereinigten Königreichs dort nämlich an 365 Tagen im Jahr wehen, so wie bisher. Doch seit dem 3. Dezember gilt eine neue Regelung: Der Union Jack wird nur mehr an sogenannten „Flaggen-Tagen“ aufgezogen, 18 Mal im Jahr. Und seit diesem 3. Dezember protestieren die Unionisten dagegen, mitunter gewaltsam.

Zwischen Montag und Dienstag erlebte Belfast bereits die fünfte Krawallnacht in Folge: Mit Beilen und Vorschlaghämmern gingen Demonstranten auf Polizisten und deren Fahrzeuge los. Wieder wurden Ordnungshüter verletzt, wieder gab es Festnahmen. Und der britischen Nordirland-Ministerin Theresa Villiers platzt allmählich der Kragen: Als „schändlich“ bezeichnete sie gegenüber der BBC, dass „jene, die sagen, sie verteidigen die Unionsfahne, das tun, indem sie Ziegel und Molotow-Cocktails auf Polizisten werfen.“

Todesdrohungen

„Leider bin ich überhaupt nicht überrascht, dass die Proteste in Gewalt umgeschlagen sind“, sagt Stewart Dickson. Er sitzt für die Alliance Party im nordirischen Parlament. Und die Alliance Party sitzt in Nordirland irgendwie zwischen den Stühlen. Sie lässt sich weder dem protestantischen Unionisten- noch dem katholischen, pro-irischen Nationalisten-Lager zuordnen. Im Rathaus von Belfast ist sie das Zünglein an der Waage: Als nun die Nationalisten den Union Jack überhaupt im Fundus verräumen wollten, schlug die Alliance Party den gut gemeinten Kompromiss mit den „Flaggen-Tagen“ vor.

Seither haben ihre Vertreter keine Ruhe mehr: Die Westminster-Abgeordnete Naomi Long erhielt Todesdrohungen, Wohnungen von zwei Parteimitgliedern wurden attackiert, das Büro von Stewart Dickson abgefackelt, wie er im Gespräch mit der „Presse“ erzählt. Dabei hatte er selbst mit dem Kompromiss gar nichts zu tun.

Dickson meint, dass nicht alle der Krawallmacher eine politische Agenda hätten: „Ja, es gibt einige, die das Karfreitagsabkommen (dieses legte 1998 den Grundstein für Frieden in Nordirland) nicht akzeptieren, aber das ist eine Minderheit.“ Andere würden einfach jede Gelegenheit für Randale nutzen, sagt Dickson im Gespräch mit der „Presse“. Und mit der Verteilung von 40.000 Flugblättern, in denen Stimmung gegen die Alliance Party gemacht wurde, hätten die unionistischen Parteien den Boden für die Krawalle aufbereitet. Diese Parteien riefen die protestantischen Protestierenden wiederholt auf, sich friedlich zu verhalten. Ohne Resonanz.

Laut Polizei wird die Gewalt von einzelnen Mitgliedern der „Ulster Volunteer Force“ orchestriert, einer ehemaligen Terrororganisation, die 2007 aber endgültig dem bewaffneten Kampf abgeschworen haben will und ihre Waffen „permanent unbenutzbar“ gemacht hat, wie im Friedensabkommen von den paramilitärischen Gruppen beider Seiten gefordert.

Symbolischer Handschlag

Seit sich Protestanten und Katholiken sich am Karfreitag 1998 nach Jahrzehnten von Konflikt und Bürgerkrieg und rund 3500 Toten zum Frieden durchrangen, ist viel passiert. Sichtbarstes Zeichen der Normalisierung war, als Queen Elisabeth II. im Juni Martin McGuinness, Nordirlands Vizeregierungschef und prominenter Politiker der katholischen Sinn Féin, die Hand schüttelte, und das auch noch mit einem Lächeln. McGuinness war Kommandant der IRA, also jener nationalistischen Terrorgruppe, die Mitgliedern der königlichen Familie einst nach dem Leben trachtete. Dass trotzdem noch ein weiter Weg zurückzulegen ist, bis sich alle mit dem Frieden angefreundet haben, zeigen die Unruhen der vergangenen Tage – und ihr Anlass.   ? Subtext Seite 25

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.01.2013)

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