Amerikas Präsident will in Bildung und Infrastruktur investieren. Doch Staat und Bürger sind so hoch verschuldet wie noch nie in Friedenszeiten.
[WASHINGTON] 16 Billionen 488 Milliarden 908 Millionen 847.828 Dollar und 25 Cent: Das war die Staatsschuld der USA am Dienstag, bevor Präsident Barack Obama seine fünfte Rede zur Lage der Nation im Kongress hielt.
Noch nie war Amerika in Friedenszeiten so hoch verschuldet wie jetzt. Gemessen an der Wirtschaftsleistung wird die Schuldenquote zum Jahresende 76 Prozent erreichen; das ist der höchste Wert seit dem Jahr 1950 und ungefähr doppelt so hoch wie der Durchschnitt der letzten Jahrzehnte. Pro Kopf hat jeder Amerikaner mehr als 36.000 Dollar nationaler Schulden zu tragen. Im pessimistischsten Szenario des Congressional Budget Office (das ist das überparteiliche Prognosebüro des Kongresses) wird sich diese Last binnen 25 Jahren vervierfachen.
Das ist der Hintergrund, vor dem Obama zu Beginn seiner zweiten Amtszeit ein großes Investitionsprogramm zur Förderung der Bildung, zur Sanierung der vielerorts maroden Straßen, Brücken, Häfen und Flughäfen und zum Ausbau der digitalen Infrastruktur fordert. Es ist auch der Hintergrund, vor dem der Präsident den Abzug von 34.000 US-Truppen aus Afghanistan binnen Jahresfrist ankündigt und die Verschrottung von gut einem Drittel der amerikanischen Atomwaffen in den Raum stellt; diese Einsparungen lassen sich publikumswirksam verkaufen.
Es ist aber ein Hintergrund, den Obama bewusst möglichst wenig beleuchtet. Denn mit großspurigen Ankündigungen zur Budgetsanierung hat er sich erst als Kandidat und später als Präsident gehörig selbst geschadet.
„Rücksichtslos, unpatriotisch“
Im Rennen um das Weiße Haus rieb Obama am 3. Juli 2008 bei einer Wahlveranstaltung in Fargo (North Dakota) erstmals gegen den Amtsinhaber George W. Bush auf: „Das Problem ist, dass Bush sich in den letzten acht Jahren im Namen unserer Kinder eine Kreditkarte bei der Bank of China besorgt hat und unsere Schuld von fünf auf neun Billionen Dollar hinaufgetrieben hat. Das ist verantwortungslos. Das ist unpatriotisch.“ Bei seiner ersten Rede zur Lage der Nation legte sich Obama die Latte selbst in atemberaubende Höhen: „Ich verspreche, das Defizit bis zum Ende meiner ersten Amtszeit zu halbieren.“
Wie der eingangs zitierte Schuldenstand zeigt, hat Obama dieses Ziel meilenweit verfehlt. Denn in jedem seiner vier Amtsjahre legte er höhere Neuverschuldungen hin als sein republikanischer Vorgänger. Und die Bank of China hat, um in Obamas selbst gewähltem Wortbild zu bleiben, den Rahmen für die Washingtoner Kreditkarte ordentlich erhöht.
Politik schlägt sich mit Zeitverzögerung in Budgets nieder. Obama hat die hohen Schulden ebenso von Bush geerbt, wie dieser 2001 einen Haushaltsüberschuss von seinem Vorgänger Bill Clinton übernommen hat. Obama hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Maßnahmen zur Eindämmung der Neuverschuldung unternommen, die heuer erstmals Früchte tragen. Laut dem CBO wird das Defizit von sieben Prozent auf heuer 5,3 Prozent beziehungsweise 845 Milliarden Dollar sinken. Damit wird Obama erstmals weniger als eine Billion Dollar neuer Schulden aufnehmen.
Die Macht der Babyboomer
Doch nach dem Jahr 2015 werden die neuen Schulden wieder steigen – „wegen des Drucks einer alternden Bevölkerung, steigender Gesundheitskosten, einer Ausweitung der Subventionen für die Krankenversicherung und steigender Zinsen“, warnt das CBO. Die Schuldenlast gebe den Politikern „weniger Flexibilität, als sie es gewöhnlicherweise hätten, um auf unerwartete Herausforderungen zu reagieren“.
Das liegt daran, dass die vielköpfige Generation von Amerikaner, die in den 15 Jahren nach 1945 geboren wurde, sukzessive in Ruhestand tritt. Diese „Babyboomer“ haben sich an Sozialleistungen gewöhnt: Seit 1972 sind (und zwar inflationsbereinigt) die Kosten für soziale, medizinische und schulische Hilfen sowie Steuerbefreiungen von 55 auf 588 Milliarden Dollar pro Jahr gestiegen. Gleichzeitig wehrt sich diese Generation gegen jegliche Steuererhöhungen, um für diese Staatsausgaben zu zahlen.
Darum mahnt der Historiker Allen Lichtman von der American University in Washington davor, alle Ankündigungen des Präsidenten für bare Münze zu nehmen: „Bill Clinton hat 1996 erklärt: Die Zeit von ,big government‘ ist vorbei. Seither hat sich das Budget verdreifacht. Niemand beschneidet die Regierung. Nicht einmal Reagan hat das getan.“
Hagel wird Verteidigungsminister
Zumindest ein Problem hat sich für Obama am Dienstag gelöst. Der Klubchef der Demokraten im Senat, Harry Reid, erklärte, dass er etwaige Anträge republikanischer Senatoren, die Bestätigung von Chuck Hagel zu verzögern, ablehnen werde. Weil mindestens 60 demokratische, unabhängige und republikanische Senatoren für Hagel stimmen werden, durfte sich der frühere republikanische Senator und Vietnam-Veteran schon vor der Abstimmung des Streitkräfteausschusses, die erst nach Redaktionsschluss der „Presse“ anstand, als bestätigt sehen.