"Timoschenko zu Recht verurteilt"

Kozhara
Kozhara(c) EPA
  • Drucken

Der ukrainische Außenminister Leonid Kozhara wehrt sich gegen den Vorwurf der „selektiven Justiz“ im Fall Julia Timoschenko – und schließt ihre Freilassung kurz vor dem Straßburger Urteil aus.

Die Presse: Für Dienstag wird das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) im Fall Julia Timoschenko erwartet. Timoschenko hatte unter anderem gegen ihre Untersuchungshaft und Haftbedingungen geklagt. Was erwarten Sie?
Leonid Kozhara: Es ist kein Geheimnis, dass Ermittlungen und Prozess unter der alten Strafprozessordnung stattfanden. Diese stammte noch von 1961, als Leonid Chruschtschow im Kreml das Sagen hatte und ich noch nicht geboren war. Sie war unausgewogen, gab der Anklage mehr Rechte als der Verteidigung. Wir sehen ein, dass die Ermittlungen und der Prozess problematische Aspekte hatten.

Sie erwarten also eine Verurteilung?

Wir erwarten, dass sich das Urteil auf den Prozessablauf beziehen wird. Das Gericht wird sich nicht dazu äußern, ob Timoschenko ein Verbrechen begangen hat oder nicht. In der Ukraine denken übrigens Millionen Menschen, dass sie zu Recht verurteilt wurde. Und die Ukraine als Mitglied des Europarats ist natürlich verpflichtet, das EGMR-Urteil zu implementieren.

Sie sagen, Sie werden das EGMR-Urteil achten - könnte Frau Timoschenko freigelassen werden?
Ich bin kein Richter. Mein aufrichtiger Wunsch ist, dass keine ukrainische Dame im Gefängnis sitzen muss. Aber: Sie ist nicht in Haft, weil die Justiz falsch entschieden hätte, sondern weil sie ein Verbrechen begangen hat. Sie hat ihre Machtbefugnisse als Premierministerin bei der Unterzeichnung des Gasvertrages mit Russland überschritten, weil sie sich nicht mit der Regierung konsultierte. Der EGMR wird dies nicht in Frage stellen.

Wenn eine Freilassung Timoschenkos nicht zur Debatte steht, wie wird man dann ihre Rechte wiederherstellen?
Ich bin kein Strafrechtsexperte, dafür haben wir Experten im Justizministerium.

Geht es um Kompensation?
Darum wird es gehen. Der EGMR wird der Ukraine das weitere Vorgehen vorschlagen. Ob Sie es mögen oder nicht, der Fall belastet das Verhältnis Ihres Landes zur EU. Werden Kompensationszahlungen Ihren EU-Partnern reichen? Unsere Beziehungen sind nicht nur von diesem Thema abhängig.

Die EU sagt, der Fall sei symptomatisch für das Justizsystem der Ukraine, Stichwort „selektive Justiz".

Wir akzeptieren diesen Vorwurf nicht. Selektive Justiz im Sinne einer Repression der Opposition durch die Justiz in der Ukraine existiert nicht. Ein Fall macht noch lange kein System. Gleichzeitig wollen wir unser Justizsystem reformieren, nicht wegen der EU, sondern weil unsere Bürger eine Veränderung des sowjetischen Stils der Justiz wollen. Wir haben seit 2010 eine Strafprozessreform und andere Justizreformen durchgeführt.

Präsident Janukowitsch hat stets gesagt, er mische sich nicht in die Justiz ein. Dann hat er Anfang April den ebenfalls inhaftierten Exinnenminister Jurij Lutsenko begnadigt. Also mischt er sich doch ein, wenn er es nur will.


Alle Instanzen - auch der EGMR - waren durchlaufen, Lutsenkos Fall abgeschlossen. Bei Timoschenko ist das anders, da gibt es einen laufenden Prozess und Ermittlungen. Der Präsident darf begnadigen - wenn ihn jemand darum bittet. Timoschenko wird das nicht tun.

Aber es gibt Petitionen von Intellektuellen und Exregierungsmitgliedern, die ihn dazu auffordern. Wäre das ein Ausweg aus der Affäre?

Diese Petitionen sind nicht offiziell. Timoschenko lehnt ein Gesuch offen ab.

Die Zeit läuft gegen die Ukraine. Wie stehen die Chancen für die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens wie geplant im November?

Das Assoziierungs- und Freihandelsabkommen ist für beide Seiten sinnvoll. In den ersten Jahren wird die EU mehr Vorteile haben. Unsere Firmen müssen mit den EU-Firmen konkurrieren - ein extrem harter Wettbewerb steht uns bevor, etwa in der Landwirtschaft. Unsere Bauern müssen - anders als EU-Bauern - ohne Subventionen auskommen. Aber in längerer Hinsicht werden wir davon profitieren. Die Ukraine wäre das einzige Land, das mit dem Westen und Osten Freihandelsabkommen hat.

Wäre es schlimm, wenn sich die Unterzeichnung bis nach 2015 verschiebt?

2013 ist der richtige Zeitpunkt - wenn nicht jetzt, wird es vielleicht nie unterschrieben. Nächstes Jahr sind EU-Wahlen, 2015 sind in der Ukraine Präsidentenwahlen. Wenn es jetzt nicht klappt, muss die Ukraine andere Wege finden für die ökonomische Integration. Wir haben ja eine Einladung aus Russland der Zollunion beizutreten. Heute schon haben einige unserer Industrien - High Tech-, Flug- und Militärindustrie - Freihandelsverträge mit der Zollunion. Länder, die sich nicht in ökonomische Blöcke integrieren, verlieren. Wir werden uns entscheiden müssen.

Wenn es also 2013 nicht klappt, treten Sie der Zollunion bei?

Nein, das heißt es nicht.

Aber Sie sagten, Sie müssten eine Entscheidung treffen.

Ja, und wir werden sie treffen. Meine Meinung ist: die Ukraine soll ihren eigenen nationalen Interessen folgen, nicht denen der EU oder Russlands. In unserem nationalem Interesse ist es, Freihandelsabkommen mit der Zollunion zu haben und dem Assoziierungsabkommen beizutreten. Wenn es nicht klappt, dann müssen wir unsere ökonomischen und politischen Interessen in anderen Regionen als der EU verfolgen. Wir haben traditionell starke Handelsbeziehungen mit Russland. Es ist unser größter Außenhandelspartner mit 60 Mrd. US-Dollar Umsatz.

Das Projekt der EU ist aber auch ein politisches Reformprojekt, was die Zollunion nicht ist.

Offen gesagt, die EU ist auch eine Art Zollunion.

Aber nicht nur.

Nicht nur - und die Zollunion ist nicht nur eine Zollunion. Es ist sowieso unser strategisches Ziel, dass die Gesetze der Ukraine auf einer europäischen Basis stehen. Aber dies werden wir auch unabhängig von der EU implementieren.

Zur Innenpolitik. Es macht nicht den Eindruck, als könnte Ihr Präsident die gespaltenen politischen Lager in Ihrem Land vereinen.

Wir befinden uns in einem demokratischen Prozess. Wir hatten in den vergangenen zwei Jahrzehnten stets friedliche Machtübergaben. Ich selbst war zweimal in Opposition. Das politische Leben in der Ukraine ist sehr leidenschaftlich. Es mangelt uns manchmal an der Reife der politischen Tradition.

Ist es reif, dass sich Ihre Partei mit den Kommunisten wegen der Parlamentsblockade der Opposition in einem anderem Saal trifft und dort alleine Gesetze verabschiedet?

Nein, sicher nicht. Aber bezüglich der Gesetze mit EU-Bezug gibt es eine starke Mehrheit, und sogar die Opposition hat gesagt, sie wolle für diese Gesetze stimmen. Wir erwarten also ein starkes Votum für einen Pro-EU-Kurs.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.