Deutschland: Robin Hood statt Ökothemen bei Grünen

Gruene Deutschland Robin Hood
Gruene Deutschland Robin Hood(c) EPA (OLE SPATA)
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Mit Plänen für Reichensteuern und eine kräftige Umverteilung irritieren die Grünen ihre gut situierte Klientel. Dem Wunschpartner SPD wird Treue gelobt.

Berlin. Boris Palmer ist ein ruhiger Typ, den nichts so leicht auf die Palme bringt. Doch an diesem Samstag ist der sympathische junge Bürgermeister von Tübingen hörbar erregt. Das Wahlprogramm der Grünen belaste Wirtschaft und Mittelstand zu stark: „Überdreht die Schraube nicht! An irgendeiner Stelle muss es aufhören“, appelliert er an seine 800 Parteikollegen. Murren macht sich breit. Aber das Sprachrohr der Realos aus dem wohlhabenden Süden provoziert weiter: Die Delegierten sollten „einmal einen Beschluss fassen, der wirtschaftsfreundliche Signale aussendet“. Sie antworten mit lauten Buhrufen und Pfiffen. Palmers Anträge werden abgeschmettert.

Es sollte der einzige Eklat bleiben, am Parteitag der deutschen Grünen im Berliner Velodrom. Dabei gab es rekordverdächtige 2600 Änderungsanträge zum Wahlprogramm für die Bundestagswahl am 22.September. Und Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hatte in einem Brief und Interviews vor dem Linksruck, vor einer unzumutbaren Belastungslawine gewarnt und sich dadurch den Zorn von Jürgen Trittin eingehandelt.

Doch der dominante Spitzenkandidat sorgte dafür, dass sein Team alle heiklen Kontroversen im Vorfeld ausbügelte. So gelang es, den bürgerlichen Flügel ruhigzustellen. Öffentlich fanden nur noch Scheingefechte statt: Anträge von radikalen Parteilinken wurden, als beruhigendes Signal nach außen, mit großer Mehrheit abgelehnt. Geeint in den Wahlkampf, so lautete die Botschaft. 14 Prozent verheißen Umfragen den Grünen, ein solides Ergebnis. Nur Palmer ließ erahnen, welche Risiken drohen.

Opfer für das Gemeinwohl

Denn die Steuerpläne haben es in sich. Die Gutverdienenden müssten an allen Ecken und Enden bluten: Der Spitzensteuersatz soll ab Jahreseinkommen von 80.000 Euro brutto von 42 auf 49 Prozent steigen, schon ab 60.000 die Progression zugespitzt werden. Mit einer Vermögensabgabe von 1,5 Prozent per anno wollen die Grünen zehn Jahre lang Schulden abbauen.

Dann soll eine Vermögenssteuer folgen. Von der Erbschaftssteuer wären künftig auch Betriebsvermögen betroffen. Vom Ehegattensplitting bis zur Sozialversicherung gehen alle Änderungen auf Kosten derer, die mehr als der Durchschnitt verdienen. Mit ihrem Umverteilungsprogramm haben die Grünen die SPD links überholt. Den Reichen nehmen, den Armen geben – Parteichef Cem Özdemir mag die Rolle: „Robin Hood ist hier, der Sheriff von Nottingham ist bei Frau Merkel.“ Die Kanzlerin nutzte die Gunst der Stunde und versprach eilig: Mit ihr werde es keine Erhöhungen geben.

Die grüne Moral folgt einer schlichten Logik: Die „Superreichen“ haben die Finanzkrise verursacht, also sollen sie den Schaden – höhere Staatsschulden – selbst beheben. Das Versprechen, mit den Zusatzmitteln den Haushalt zu sanieren, entspricht dem grünen Credo der Nachhaltigkeit. Doch die Pläne betreffen auch viele Selbstständige, Kleinunternehmer, höhere Beamte – und damit die grüne Kernklientel.

Die Partei hofft, dass ihre idealistisch gesinnten Wähler fürs Gemeinwohl freiwillig noch mehr Federn lassen. Das Kalkül mag im großstädtischen Biotop der Kreativen und Intellektuellen aufgehen. Problematisch wird es bei Unternehmern, die durchaus altruistisch um die Jobs ihrer Mitarbeiter bangen. Denn selbst wenn die betriebliche Substanz nicht besteuert wird: Es fehlt Geld für zukunftssichernde Investitionen. Und auch die Zurückdrängung von Leiharbeit und befristeten Verträgen könnte Jobs kosten, warnt nicht nur Rebell Palmer.

Warum setzen nun auch die Grünen voll auf „soziale Gerechtigkeit“? In ihrem alten Kernthema, dem Umweltschutz, können sie sich nach Atomausstieg und Energiewende nicht mehr so klar profilieren. Und auch beim Kampf um mehr Toleranz, Kinderbetreuungsplätze und Frauen im Berufsleben wächst die Konkurrenz.

Alles auf Rot-Grün gepolt

Immerhin fällt es nun leicht, dem Wunsch-Koalitionspartner SPD Treue zu geloben: Ein guter Teil der Programme ist deckungsgleich. Ko-Parteichefin Claudia Roth brachte es in ihrer umjubelten Rede auf den Punkt: Statt mit der CDU grundsätzlich über Gesellschaftspolitik zu streiten, „nütze ich meine Kraft doch tausendmal lieber, um der SPD die Kohlekraftwerke auszureden oder vom Unsinn der Vorratsdatenspeicherung zu überzeugen“. Sprach's und herzte hernach SPD-Chef Sigmar Gabriel, der als Gastredner geladen war – eine Premiere. Roth, immer noch Seele und Gefühlskraftwerk der Partei, freut sich auf einen „quietschvergnügten Wahlkampf“. Alle lächeln. Wenn auch manche etwas gequält.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.04.2013)

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