Christian Ude: „Opposition ist sehr wohl Mist“

Christian Ude
Christian Ude(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Wie Münchens scheidender Bürgermeister die SPD erstmals in Bayern an die Spitze bringen will. Und warum seine Partei es im Freistaat so schwer hat.

Die Presse: Nach 20 Jahren als Münchner Oberbürgermeister könnten Sie eigentlich zufrieden in Pension gehen. Stattdessen SPD-Spitzenkandidat in Bayern: Warum tun Sie sich das an?

Christian Ude: Ich bin vor 45 Jahren in die SPD eingetreten, weil mich als Schüler die reaktionäre bayrische Schulpolitik geärgert hat. Und der Machtmissbrauch und die Misswirtschaft der CSU, damals unter Franz-Josef Strauß. Es hat sich nichts Grundlegendes geändert. Auch heute erleben wir Machtmissbrauch und Misswirtschaft in krasser Form - und eine rückständige Bildungspolitik.
Die SPD hat aber nur eine Chance, den Regierungswechsel herbeizuführen, wenn sie einen Frontmann mit Regierungserfahrung hat. Da sind 20 Jahre in der Landeshauptstadt eine wunderbare Basis. Ich habe gezeigt, dass ich mit Geld besser umgehen kann als die Regierung Seehofer, ich habe in München heute weniger Schulden zu verzeichnen als bei meinem Amtsantritt vor 20 Jahren, während die Regierung Seehofer diejenige Staatsregierung ist, die die meisten Schulden der Nachkriegszeit aufgehäuft hat.


Warum tut sich die SPD denn so schwer, in Bayern die Füße auf die Erde zu kriegen?

Wir haben in Bayern viele Füße auf der Erde. Kommunal ist die SPD sehr stark. Aber auf Landesebene, da haben Sie leider recht, tut sich die SPD schwer, weil sie nach 50 Jahren Opposition wenig prominente Persönlichkeiten in der Landespolitik stellt, und die CSU es geschafft hat, sich mit einem riesigen Staatsapparat zu bedienen und ein großes gesellschaftliches Vorfeld aufzubauen. Sie ist materiell um ein Vielfaches überlegen, was einfach eine ungleiche Verteilung der Chancen darstellt. Wir müssen da auf Themen zu setzen, die eine breite Mehrheit in der Bevölkerung haben, wie der gesetzliche Mindestlohn oder die Abschaffung der Studiengebühren, die wir bereits in der Opposition durchgesetzt haben.

Sie beschreiben den heutigen Zustand. Aber muss man die Ursachen nicht früher suchen? Warum
sprach die CSU schon vor 20, 30 Jahren die Wähler mehr an?

Auch wenn die Agrarwirtschaft heute nicht mehr die Rolle spielt, ist Bayern ein dörflich und ländlich geprägtes Land. Die Industriearbeiterschaft spielt nicht die Rolle wie an Rhein und Ruhr, das sind strukturelle Gründe, die sie keinem Spitzenkandidaten der SPD vorwerfen können.

Rechnen Sie sich trotzdem Chancen aus?

Wir haben es mit einer neuen Situation zu tun: Erstens gibt es ein Dreierbündnis (SPD, Grüne und freie Wähler; Anm.) das nahezu ebenso stark oder sogar stärker ist als die CSU. Zweitens eine FDP, die im Lande wie im Bunde offensichtlich am Ende ist und wahrscheinlich nicht mehr ins Parlament kommt. Drittens eine Opposition mit einer Führungspersönlichkeit, die mit 20 Jahren Regierungsverantwortung punkten kann, und die auch für wirtschaftlichen Erfolg steht, nicht nur für den Wunsch nach größerer sozialer Gerechtigkeit. Zudem steckt die CSU in einer Krise, die sie beutelt wie seit Jahren nicht mehr.

Sie spielen auf die Amigo-Affäre an. Glauben Sie denn, dass das bis zum Wahltag im September trägt?

Die Erfahrungen zeigen, dass Krisen sehr viel Zeit benötigen, um sich aufs Wahlverhalten auszuwirken. Insofern bin ich froh, dass es noch vier Monate sind, in denen die Menschen sich überlegen können, ob sie die Verhaltensweisen der CSU-Mandatsträger honorieren oder nicht doch lieber abstrafen wollen. Es wäre ja schlimm, wenn das schon eine Woche später zur Wahl stünde, und die Menschen nach ihren alten Gewohnheiten abstimmen würden.

Ein Argument, nicht CSU zu wählen. Aber deswegen muss man noch nicht das Kreuz bei der SPD machen.

Ich sehe vor allem drei Gründe, SPD zu wählen: Die Menschen spüren, dass das Land zwar erfolgreich ist und viele Stärken hat, aber nicht im Gleichgewicht ist. Wir haben strukturschwache Gebiete, Dörfer mit Schulsterben, überschuldete Kommunen, wo man das ständige Selbstanpreisen der Staatsregierung nicht mehr hören kann. Dass ganz Bayern ein einziges Paradies sei, das wird nicht in allen Landesteilen so erlebt. Zweitens haben wir keine Bildungsgerechtigkeit: In keinem Bundesland hängen die Bildungschancen so stark vom Einkommen und vom Bildungsstand der Eltern ab. Und dann haben wir erlebt, dass die Märkte immer mehr entgleisen, die Finanzmärkte laden die Risiken auf den Steuerzahlern ab, die Arbeitsmärkte produzieren immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse. Hier braucht es endlich wieder eine starke Politik, die die Märkte auf das Gemeinwohl verpflichtet.

Stichwort Märkte: Es scheint ja so, dass der Krisen-Kurs der Kanzlerin bei der Bevölkerung sehr gut ankommt. Ist die Bundestagswahl schon gelaufen?

Die Bundestagswahl läuft in vier Monaten. Und bislang hat die Kanzlerin nur gepunktet mit der Behauptung, mit ihr gebe es keine Haftungsunion, mit Rot-Grün schon. Inzwischen denken die Leute nach, ob es die Haftungsunion nicht längst gibt, geschaffen durch die Kanzlerin, während manch Vorgehensweise von Rot-Grün wesentlich besser gewesen wäre, um Europa nicht an Abgründe zu führen, wie es 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit in Griechenland und Spanien darstellen.

In der SPD gab es viele Debatten um Peer Steinbrück. Wäre es besser gewesen, den Spitzenkandidaten per Urabstimmung zu wählen?

Die wäre nicht anders ausgegangen. Ich halte mich zwar täglich in der SPD auf, erlebe aber diese Debatte nicht. Die kommt dort nicht vor, nur in den Medien. Dieselben Medien, die ein Jahr lang geschrieben haben, dass die SPD nur mit Peer Steinbrück eine Chance hat, wollen uns jetzt einreden, dass sie mit Peer Steinbrück aber schon überhaupt keine Chance hat.

Sollte es bei der Bundestagswahl nicht reichen, sollte die SPD dann in eine erneute Große Koalition eintreten?

Erstrebenswert finde ich die Große Koalition ganz und gar nicht. Wir haben ja gelernt, dass der Juniorpartner da viel Profil verlieren und wenig Einfluss gewinnen kann. Mir wäre eine sozialdemokratisch geführte Bundesregierung am liebsten, oder eine tonangebende Rolle in der Opposition. Aber ich bin nicht so leichtsinnig etwas auszuschließen, was dann vielleicht doch passiert, weil es alternativlos ist.

Also Opposition ist nicht „Mist", wie es ein SPD-Chef mal gesagt hat?

Niemand weiß besser als die bayrische Sozialdemokratie, dass Opposition sehr wohl Mist ist, aber in der Demokratie ist diese undankbare Rolle für den, der die Wahl nicht gewinnt, vorgesehen. Aber der größte Mist ist Juniorpartner in einer großen Koalition. Er darf die Arbeit machen, wie es die sozialdemokratischen Minister in der Wirtschaftskrise zu Gunsten von Angela Merkel taten. Sie durften den Kopf hinhalten, Profil verlieren, aber nicht die Früchte der Arbeit einheimsen. Das halte ich für die traurigste Rolle in der Politik.

Sie haben vor Beginn des NSU-Prozesses in München den mangelnden Zugang für türkische Medienvertreter kritisiert. Wie beurteilen Sie die ersten Prozesstage?

Ich bin fest überzeugt, dass der Prozess streng rechtsstaatlich und korrekt verlaufen wird, und nichts anderes haben die ersten Prozesstage gezeigt. Meine Kritik bezog sich nur auf den Umgang mit der Öffentlichkeit. Da hätte das Gericht erkennen müssen, dass die türkische Öffentlichkeit nach einer Mordserie, der hauptsächlich türkischstämmige Menschen zum Opfer gefallen sind, und zwar nur deswegen, weil sie türkischstämmig sind, ein extremes Interesse hat, diesen Prozess zu verfolgen. Zumal ja dem Prozess ein Jahrzehnt des Staatsversagens von Polizei und Verfassungsschutz vorangegangen ist. Das nicht erkannt zu haben, sondern rein formalistisch vorzugehen, war ein schwerer Fehler, der eine verständliche internationale Irritation ausgelöst hat.

Türkische Politiker haben gefordert, das Kreuz im Gerichtssaal abzuhängen. Was halten Sie davon?

Das halte ich für einen Unsinn und einen Mangel an Sensibilität. Ich glaube nicht, dass diese Politiker gut beraten waren. Sie sollten nicht religiöse Symbole in Frage stellen, die ja umgekehrt auch nicht in Frage gestellt werden.

Zur Person

Christian Ude (*1947) ist seit 1993 Oberbürgermeister (SPD) von München. Nach dem Abitur schrieb er zunächst bei der „Süddeutschen Zeitung“, wechselte nach einem Jusstudium aber in den Anwaltsberuf. Ude ist Spitzenkandidat der SPD bei der Landtagswahl im Herbst. Am Dienstag war er in Wien zu Gast bei Bürgermeister Michael Häupl, der ihm das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien verlieh. Weiters traf er mit Bundespräsident Heinz Fischer und Nationalratspräsidentin Barbara Prammer zusammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2013)

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