Nach einer neuerlichen Gewalt-Eskalation in der Pufferzone steigt Österreich aus der UN-Mission aus. Die ersten Soldaten sollen bereits in einer Woche abgezogen werden.
Die Bundesregierung zieht die Reißleine: Nach einer neuerlichen Eskalation der Gewalt in der Pufferzone zwischen Israel und Syrien wird der Bundesheer-Auslandseinsatz auf dem Golan beendet. Verteidigungsminister Gerald Klug (SPÖ) sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit SP-Kanzler Werner Faymann und VP-Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP), die ersten Blauhelme würden bereits am 11. Juni, abgezogen. Geplant sei ein "geordneter Rückzug" innerhalb der nächsten zwei bis vier Wochen.
Die UNO diskutiere derzeit mit Österreich über den Zeitpunkt, sagte zuvor eine Sprecherin der Vereinten Nationen. Zudem werde mit anderen Truppenstellern über einen entsprechenden Ersatz beraten. Mit dem Abzug Österreichs verliere der Einsatz aber sein "Rückgrat".
Im Notfall Abzug "innerhalb von Stunden"
Klug meinte, im Notfall könne "innerhalb von Stunden", erfolgen. Sollte der bisher genützte Übertrittspunkt, das "Bravo Gate", wie am Donnerstagvormittag für wenige Stunden, neuerlich in die Hände der Rebellen fallen, würde man gemeinsam mit den israelischen Sicherheitskräften einen Abzugsweg entlang des "technischen Zauns" finden, der den israelisch besetzten Teil des Golan von der Pufferzone trennt, so Klug. "Das Leben unserer Soldaten steht an erster Stelle", fügte Faymann hinzu. Alle drei Regierungsmitglieder sprachen den Soldaten ihren Dank aus. Österreich bleibe weiter ein verlässlicher UNO-Truppensteller, betonte der Kanzler und verwies auf die zahlreichen anderen Einsätze heimischer Blauhelme wie am Balkan, auf Zypern oder im Libanon. Es könnte auch sein, dass für die nun vom Golan heimkehrenden Soldaten eine dieser anderen Missionen verstärkt werde, meinte Faymann, wollte aber dazu nicht detaillierter werden.
Faymann und Spindelegger begründete den Abzug bereits zuvor in einer gemeinsamen Erklärung: "Eine unkontrollierte und unmittelbare Gefährdung der österreichischen Soldaten ist auf ein inakzeptables Maß angestiegen", heißt es darin. Und weiter: "Die Entwicklung der heutigen Morgenstunden hat gezeigt, dass ein weiteres Zuwarten nicht mehr vertretbar ist."
Spindelegger hat UNO-Chef Ban Ki-moon persönlich von der Entscheidung in Kenntnis gesetzt. Dieser hat die Entscheidung Österreichs bedauert und sorge sich um die möglichen Konsequenzen des Rückzugs. UNO-Sprecher Martin Nesirky erklärte: "Österreich war offensichtlich ein entscheidender Teil der Mission. Der Rückzug wird ihre Handlungsfähigkeit beeinträchtigen."
Mission vor Aus, Israel hofft auf Weiterführung
Die UN-Mission steht vor dem Aus. Denn Österreich stellt mit rund 380 Blauhelmen das größte Truppenkontingent der ohnehin dezimierten Mission. In den vergangenen Monaten hatten bereits Japan, Kanada und Kroatien ihre Truppen abgezogen. Israel erwartet dennoch, dass die Mission weitergeführt wird. "Israel erwartet von den Vereinten Nationen, die Verpflichtungen, die in der Resolution 350 (von 1974) des Sicherheitsrates festgehalten sind und gemäß derer (die Mission) UNDOF etabliert wurde, weiter einzuhalten", heißt es in einem Schreiben des Außenministeriums.
Die Lage am Golan hatte sich Donnerstag früh noch einmal dramatisch zugespitzt: Syrische Rebellen eroberten vorübergehend einen Grenzübergang, das "Bravo-Gate", in der auf dem Papier demilitarisierten Zone. Mittlerweile wird das für die UN-Mission unverzichtbare „Eingangstor" wieder von den syrischen Regierungstruppen kontrolliert. Wegen des Bürgerkriegs in Syrien erfolgt die komplette Versorgung der Blauhelme aus Israel durch das "Bravo Gate".
In den Morgenstunden geriet auch das Camp Ziouani im israelischen Grenzgebiet unter Beschuss, es gab mehrere Explosionen. Im Camp Ziouani sitzt der indische Kommandant der UNDOF-Mission. Auch fünf bis zehn österreichische Stabsoffiziere halten sich üblicherweise dort auf. Während der Gefechte in der Pufferzone wurden auch zwei Blauhelme verletzt, darunter ein Philippiner. Österreicher kamen keine zu Schaden.
Die rund 380 österreichischen Blauhelme sollen nun über Israel nach Hause geholt werden - und zwar auch dann, wenn das "Bravo Gate" wieder von Rebellen blockiert wird. In diesem Fall würde das israelische Militär Löcher in den Sperrzaun schneiden. Auf diesem Wege hätte im Ernstfall auch der Nachschub erfolgen sollen.
Umfrage: Abzug die richtige Entscheidung?
Der Abzug der Österreicher erfolgt überfallsartig. Üblicherweise werden die Vereinten Nationen drei Monate im Vorfeld über einen Ausstieg informiert.
Bundespräsident Heinz Fischer nannte den Abzug eine "richtige Entscheidung". Die Bundesregierung habe im richtigen Moment entschieden, dass die Sicherheit der Soldaten nicht mehr gewährleistet sei. Die Opposition in Wien begrüßte ebenfalls geschlossen den Abzug. "Die Regierung hat offenbar ihre Realitätsverweigerung beendet", erklärte etwa FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache.
Die Erklärung von Faymann und Spindelegger im Wortlaut
In den heutigen Morgenstunden kam es zu folgeschweren Zwischenfällen im Einsatzgebiet der UNDOF-Mission auf den Golan-Höhen, in deren Zuge der Grenzposten Quneitra in der demilitarisierten Zone vorübergehend von syrischen Rebellen eingenommen und nach heftigen Kämpfen vorerst von Einheiten der syrischen Armee zurückerobert wurde. Im Verteidigungsministerium fand umgehend eine weitere eingehende Lagebesprechung mit dem Generalstab und Vertretern des Außenministeriums statt.
„In der Folge erklärte uns der Verteidigungsminister, dass nach Rücksprache mit den Verantwortlichen seines Ressorts die Teilnahme des österreichischen Bundesheeres an der UNDOF-Mission aus militärischen Gründen nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Die Beobachtungen des Verteidigungsministeriums haben in den vergangenen Wochen eine nachhaltige Verschlechterung der Lage im Raum festgestellt“, erklärten Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger.
„Die Freiheit der Bewegung im Raum ist de facto nicht mehr gegeben. Eine unkontrollierte und unmittelbare Gefährdung der österreichischen Soldaten ist auf ein inakzeptables Maß angestiegen. Die Entwicklung der heutigen Morgenstunden hat gezeigt, dass ein weiteres Zuwarten nicht mehr vertretbar ist. Eine gesicherte Bewegung und Versorgung unserer Soldaten am Golan kann nicht mehr gewährleistet werden. Damit ist de facto nicht nur der regelmäßige Nachschub für die Mission unmöglich, sondern auch die für kommende Woche geplante große Rotation“, erklärten Bundeskanzler Werner Faymann und Vizekanzler und Außenminister Michael Spindelegger.
Vizekanzler Spindelegger hat bereits mit dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon gesprochen und ihn persönlich über die Entscheidung der Bundesregierung informiert. Das Verteidigungsministerium ist bereits mit der Abteilung für Friedenseinsätze der UNO (Department of Peacekeeping Operations, DPKO) im Kontakt, um die Voraussetzungen für einen geordneten Rückzug der österreichischen Blauhelme zu schaffen.
„Die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten steht an oberster Stelle, daher ist dieser Schritt notwendig“, sagten Bundeskanzler Faymann und Spindelegger.
(Red.)