NSA, Prism und das Internet: Die dunkle Seite von Big Data

Die Enthüllung der Internetüberwachung durch die USA lehrt uns: Je größer der Eingriff in die Privatsphäre ist, desto stärker muss der Schutz vor Missbrauch sein.

David Simon, der Schöpfer der Fernsehserie „The Wire“, stellt inmitten der Aufregung um die Überwachung des Internets durch die US-Geheimdienste eine wichtige Frage: Greift die Regierung auf diese Daten für das legitime Bedürfnis der Öffentlichkeit nach Sicherheit zu, oder missbraucht sie die Privatsphäre?

Simon vergleicht die digitale Datensammlung der National Security Agency (das ist der militärische Geheimdienst der USA) mit dem Abhören von öffentlichen Münztelefonen durch die Polizei im Kampf gegen Drogendealer im Baltimore der frühen 1980er-Jahre. Die Polizei wollte damals herausfinden, wie die Drogengangs ihr Geschäft mithilfe von Telefonzellen und Pagern organisieren. Also besorgten sie sich von einem Richter die Erlaubnis, alle Nummern zu erfassen, die von allen Münzfernsprechern in den Stadtvierteln gewählt wurden, in denen die Gangs aktiv waren.

Hier wird es aus grundrechtlicher Sicht spannend. Denn ein öffentliches Telefon wird auch von unbescholtenen Bürgern verwendet. Darf die Polizei deren Gespräche abhören? Nein, sagte der Richter. Sobald die Polizisten merkten, dass da bloß ein braver Schüler seiner Omi zum Geburtstag gratuliert und nicht zehn Deka Koks bestellt, mussten sie die Abhörung beenden und Aufnahmen löschen.

Haben die Polizisten sich immer daran gehalten? Wahrscheinlich nicht. War dieser Lauschangriff wirksam? Ja – die Anführer der Gangs gingen hinter Gitter. War er rechtens? Ebenfalls ja – mehrere Berufungsgerichte bestätigten das.

David Simon schließt daraus, dass das Überwachungsprogramm Prism für sich genommen kein Problem ist. Wenn die Behörden Daten in Bausch und Bogen verlangen, dann täten sie das nicht, um brave Bürger zu beschnüffeln, sondern, um eine Datenbasis als Werkzeug für Ermittlungen zu bekommen. Denn, gibt er zu bedenken: Diese Datenmengen sind nun einmal da. Soll man sie im Kampf gegen Terroristen, Schwerverbrecher und Spione ignorieren?

Nein. Aber ebenso wenig darf man den wesentlichen Denkfehler im Vergleich von Münztelefonen mit dem Internet übersehen. Wer Telefonnummern aufschreibt, weiß nicht, worüber gesprochen wurde. Wer Zugang zu den Großrechnern von Microsoft, Google und Facebook erhält, kann sofort in den Inhalten der E-Mails und Chats blättern.

Diesen direkten Zugang gewährt Prism den Behörden. Der Eingriff in die Privatsphäre ist also viel größer, als wenn ein paar Drogenfahnder Münztelefone observierten. Das Ausmaß des Eingriffs allein macht ihn nicht rechtswidrig. Prism basiert auf Fisa, einem Gesetz, das der Kongress mit großer Mehrheit beschlossen hat und hinter dem die meisten Kongressleute noch heute stehen.

Je stärker aber der Eingriff in die Privatsphäre ist, desto größer ist die Gefahr von Missbrauch. Der Verdacht von Missbrauch liegt in der Luft, wenn ein Staatsanwalt einem Angeklagten die Auskunft darüber verweigert, ob seine Anklage wegen Terrorismusverdachts bloß darauf beruht, dass er online das al-Qaida-Magazin „Inspire“ gelesen und Prism deshalb Alarm geschlagen hat. Genau so ein Fall liegt bei einem Gericht in Florida. Der Verdacht von Missbrauch liegt auch in der Luft, wenn das Fisa-Sondergericht von den mehr als 33.900 Anfragen der Geheimdienste auf elektronische Überwachung, über die es seit 1979 zu befinden hatte, nur elf abgelehnt hat.

Lagen Amerikas Geheimdienste tatsächlich zu mehr als 99 Prozent auf der richtigen Seite der Verfassung? Dieselben Geheimdienste, die für George W. Bush Gutachten über den Irak gefälscht haben? Die zu sehr mit innerbehördlichen Eifersüchteleien beschäftigt waren, als dass sie 9/11 hätten verhindern können? Die heimlich gefoltert haben?

Prism rührt an einem Dilemma unserer zusehends von Big Data geprägten Lebensweise. Wir misstrauen den Behörden und Konzernen. Unser iPhone wollen wir aber nicht missen (und sein GPS). Ebenso wenig das Bezahlen mit Kreditkarte. Oder die maßgeschneiderten Angebote auf Amazon. Auf die dunkle Seite von Big Data fällt nun ein Lichtstrahl. Wir müssen Aufdeckern wie Edward Snowden dafür danken.

E-Mails an: oliver.grimm@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.06.2013)

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