Melkitischer Erzbischof von Aleppo erhebt Anklage: "Ein Konflikt, bei dem alle verlieren." Er berichtet über Gewalt und Zerstörung in Christen-Dörfern. Grauenvolle Hinrichtung eines Buben sorgt für Entrüstung.
Ein erschütterndes Bild über die syrische Tragödie hat der melkitische (griechisch-katholische) Erzbischof von Aleppo, Jean-Clement Jeanbart, gezeichnet. In einem Interview mit der vatikanischen Nachrichtenagentur "Fides" beschrieb der Kirchenführer Syrien als "ein Land, das nur noch aus Trümmern besteht" und wo es "Gewalt, schreckliche Morde an Zivilisten, an Frauen und Kindern gibt". Jeanbart sprach von "Chaos und Verwüstung in einem Konflikt, bei dem alle verlieren". Syrien bedürfte dringend einer politischen Konfliktlösung.
Zum Schicksal der beiden entführten Aleppiner Metropoliten und zweier Priester sagte der Erzbischof nach einem Bericht der Stiftung "Pro Oriente": "Wir haben keine Neuigkeiten, wir wissen nichts." Auch dies sei eine Folge des herrschenden Chaos. In die Bemühungen um die Freilassung der im April im syrisch-türkischen Grenzgebiet verschleppten Erzbischöfe Mar Gregorios Yohanna Ibrahim (syrisch-orthodox) und Boulos Yazigi (griechisch-orthodox) sind die UNO, der Libanon, die Türkei, Russland und die USA eingeschaltet. Jeanbart erinnerte daran, dass Papst Franziskus jüngst die "Plage der Entführung von Personen" beklagte. Er habe für "das Land, dessen Zivilbevölkerung abgeschlachtet wird", Dialog und Aussöhnung gefordert.
Düstere Zukunft
Düster sieht die Zukunft für die Syrer und insbesondere die dortigen Christen aus. Jeanbart befürchtet, dass noch mehr Christen das Land "auf der Suche nach einem würdigeren Leben" verlassen werden. "Wenn die Zukunft für uns Christen und für alle Syrer nicht auf den gleichen staatsbürgerlichen Rechten, auf Freiheit und Würde und auf gegenseitiger Achtung gründet, was wird dann geschehen?" Düster ist auch der Alltag: "Es gibt weder Waren noch Treibstoff oder Strom und oft fehlen auch Lebensmittel."
Mittlerweile wurden Details über die Lage in der Stadt Qusair bekannt, die Anfang Juni von den Regierungstruppen zurückerobert wurde. Dort hatten vor dem Ausbruch der Kämpfe 5.000 Christen und 25.000 sunnitische Muslime gelebt. Als Oppositionelle die Stadt im Mai 2012 eroberten, verließen fast alle Christen und auch viele Muslime die Stadt, weil offenbar die islamistischen Kräfte gegenüber säkularen Gruppen die Oberhand gewannen. Als die syrische Armee - allerdings gemeinsam mit Hisbollah-Islamisten aus dem Libanon - wieder in Qusair einrückte, waren nur mehr zwei Christen in der Stadt: Talal Haddad und sein Onkel, der mit einem muslimischen Nachbarn, Abdelkarim Zuhouri, ausharrten. Haddad war von Al-Nusra-Kämpfern in den Fuß geschossen worden, um auch ihn in die Flucht zu jagen.
Verwüstung eines Klosters
Die Nachrichtenagentur "Asia News" berichtete über eine Verwüstung des griechisch-orthodoxen St. Elias-Klosters in Qusair durch Al-Nusra-Islamisten, nachdem die Mönche die von den Rebellen besetzte Stadt verlassen hatten. Die BBC-Journalistin Lyse Doucet, die nach dem Abzug der Rebellen als erste ausländische Zeugin die Stadt besuchte, schilderte, das kleine Kloster sei augenscheinlich unter Beschuss genommen worden. Ikonen, Bibeln und Messbücher lagen verstreut. Bei vielen Ikonen seien die Augen ausgestochen gewesen.
Laut "Fides" kam es im Zug der Kämpfe um Qusair auch zu Übergriffen auf christliche Dörfer in der Provinz Homs. Ende Mai seien Al-Nusra-Islamisten in das Dorf Douar eingefallen, wo 100 griechisch-orthodoxe Familien leben. Sie hätten die Kirche besetzt und von dort auf die fliehenden Zivilisten gefeuert. Ein 18-jähriges Mädchen und ein elfjähriger Bub wurden erschossen. Danach wurden der christliche Bürgermeister Joseph Jamil Adra und ein weiterer Mann als Geiseln verschleppt. Die Christen-Häuser wurden verwüstet und angezündet. Die traumatisierten Flüchtlinge seien in einer armenisch-apostolischen Pfarre nahe Homs untergekommen. Ein Überfall und Brandschatzung im Dorf Ouzm Sharshoh in der Provinz Homs habe dort mehr als 250 christlichen Familien in die Flucht getrieben.
Schock über Exekution eines 15-Jährigen
Eine grauenvolle "Hinrichtung" eines Buben ereignete sich vor einigen Tagen in Aleppo, die Christen wie Muslime in Schrecken versetzt. Der 15-jährige Mohammed Qataa soll sich beim Kaffeeverkaufen in einen Streit eingelassen haben, in dessen Verlauf er gesagt habe: "Selbst wenn der Prophet Mohammed aus dem Paradies herabkommt, würde ich kein Gläubiger werden." Er sei daraufhin von Al-Nusra-Kämpfern festgenommen, gefoltert und später zu seinem Kiosk geführt worden, wo er vor den Augen seiner Eltern mit zwei Kopfschüssen getötet wurde. Ein Milizionär erklärte vor der versammelten Menge: "Bürger von Aleppo, wer nicht an Gott glaubt, ist ein Polytheist, wer den Propheten schlecht macht, ebenso. Wer solche Blasphemien sagt, wird auf diese Weise bestraft." Die Mutter hatte die Mörder vergeblich angefleht, ihr Kind zu verschonen.
Eine führende Persönlichkeit des katholischen Episkopats in Menschenrechtsfragen, der mexikanische Bischof Raul Vera Lopez, ist unterdessen mit einer Delegation nach Syrien gereist, um dort Informationen über Menschenrechtsverstöße zu sammeln. Nach Ansicht von Beobachtern führt die extreme Not zu wachsender Radikalisierung mit barbarischen Auswüchsen. Vera Lopez war Koadjutor von San Cristobal de Las Casas, als der Zapatisten-Aufstand in Chiapas tobte. Der heutige Bischof der Diözese Saltillo im Nordosten Mexikos war 2012 für den Friedensnobelpreis nominiert.
(APA)