Die Problemkinder der europäischen Parteienfamilien

Zusammenhalt. Vor den Europawahlen 2014 bemühen sich Europas Konservative und Sozialdemokraten um geschlossenes Auftreten mit ihren Schwesterparteien und assoziierten Mitgliedern. Dissonanzen sollen möglichst nicht an die Öffentlichkeit.

Wien. Eine Parteifamilie ist wie eine Großfamilie: Wenn sie sich trifft, soll alles stimmen. Das Menü, die Atmosphäre, das Gruppenfoto. Streitende Geschwister vor den Kameras verderben das Fest. Zwist regelt man lieber, wenn niemand zusieht oder zuhört.

Problemkinder hat die konservative Parteifamilie EVP derzeit einige. Das lauteste unter ihnen: Ungarns Premier Viktor Orbán. Seine Partei Fidesz gehört der EVP an, sorgt aber mit umstrittenen Verfassungsänderungen für Kontroversen. Im Moment hat Orbán drei Warnbriefe von EU-Justizkommissarin Viviane Reding, ebenfalls einer Christdemokratin, auf dem Tisch. Auch wenn im EU-Parlament nicht mehr alle EVP-Abgeordnete hinter den ungarischen Kollegen stehen: Mit Kritik exponiert man sich lieber nicht. So verweigerten die EVP-Abgeordneten am Mittwoch im EU-Innenausschuss einem Bericht überraschend ihre Unterschrift, in dem Kritik an Orbán geübt wird und Budapest 40 Ratschläge übermittelt werden.

Auch mit der türkischen AKP (sie hat Beobachterstatus in der EVP) haben die Konservativen derzeit ihre liebe Not. Sie galt lange als konservative Hoffnungsgruppe für eine moderate, marktwirtschaftlich orientierte Türkei. Nun steht sie aber mit dem harten Kurs gegen friedliche Demonstranten in der Kritik. Jüngst gingen die Parteichefs Angela Merkel in Deutschland und Michael Spindelegger in Österreich auf Distanz. EVP-Europaabgeordnete fordern gar einen sofortigen Stopp der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. Notorisches Sorgenkind ist zudem Silvio Berlusconi. Lange nahmen die europäischen Bürgerlichen zähneknirschend seine Eskapaden hin. 2012 riss ihnen dann doch der Geduldsfaden; erwägt wurde gar ein Ausschluss von „Volk der Freiheit“. Derzeit ist das Thema vom Tisch – wohl auch, weil Berlusconis Partei Mitglied der fragilen Großen Koalition in Italien ist.

Großzügige Unterstützung

Familienmitglieder bringen nicht nur Ärger, sie halten auch zusammen – auch wenn es demokratiepolitisch problematisch ist.

Vor allem die Schwesterparteien im unruhigen Osteuropa können auf Unterstützung zählen. Etwa Bojko Borissow und seine Partei Gerb, seit den Wahlen im Mai in Opposition. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung hat die rechtspopulistische Gerb in Sachen Politikmanagement bisher großzügig unterstützt; die früheren konservativen EVP-Partner in Sofia sind dagegen ausrangiert. Kalkül ist wichtiger als Ideologie, und 2014 sind EU-Wahlen. „Das Ziel sind eindeutige Mehrheiten. Das schafft man nur mit erfolgreichen Schwesterparteien“, so Ulrike Lunacek, grüne EU-Abgeordnete. Seit Borissows Ex-Innenminister Zwetanow von der Staatsanwaltschaft in einer Abhöraffäre befragt wird, ist die EVP alarmiert. Auch in Georgien leisten die Konservativen dem nach dem Machtwechsel unter Druck geratenen Micheil Saakaschwili Schützenhilfe.

Die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament schloss wiederum 2010 ein „Arbeitsabkommen“ mit der ukrainischen Partei der Regionen von Präsident Viktor Janukowitsch. In seiner Amtszeit wurde ExPremierministerin Julia Timoschenko, die von den europäischen Konservativen – und insbesondere vom prominenten CDU-Mann Elmar Brok – unterstützt wird, in einem umstrittenen Verfahren zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Und während Brok im Fall Rumäniens von einem „Staatsstreich“ der Sozialisten gegen Präsident Traian Basescu sprach, sprang der Vorsitzende der Sozialdemokraten im EU-Parlament Hannes Swoboda (zunächst) für Rumäniens Premier Viktor Ponta in die Bresche.

Am Samstag trifft sich übrigens im bulgarischen Sofia Europas linke Großfamilie zu ihrer Jahrestagung – und wird sich in Solidarität für die in Bedrängnis geratene dortige linke Regierung üben. Unter den Gästen: Rumäniens Premier Victor Ponta.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.06.2013)

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