Abhöraffäre: Aufdecker Snowden auf der Flucht

Für ein paar Tage Hongkongs berühmteste „Langnase“: Edward Snowden, Aufdecker US-amerikanischer und britischer Abhörprogramme.
Für ein paar Tage Hongkongs berühmteste „Langnase“: Edward Snowden, Aufdecker US-amerikanischer und britischer Abhörprogramme. (c) EPA (JEROME FAVRE)
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Der Ex-US-Geheimdienst-Mann setzte sich nach Moskau ab und will Asyl in Ecuador. Vorher ärgerte er die USA noch mit dem Vorwurf der Cyberspionage gegen China.

[Peking/Moskau/Lee/Ag.] Auf einmal hatte es Edward Snowden ziemlich eilig: Am Samstag war bekannt geworden, dass die USA bereits die Auslieferung des ehemaligen Geheimdienstmitarbeiters von Hongkong beantragt haben. Snowden hatte die Existenz geheimer Abhörprogramme enthüllt, mit denen Geheimdienste in den USA und Großbritannien in großem Stil Telefonate und Internetkommunikation anzapfen.

Am Sonntag saß der US-Bürger bereits in einer Aeroflot-Maschine nach Moskau, das Internet-Enthüllungsportal WikiLeaks, das mit Snowden offenbar in engem Kontakt steht, vermeldete am Nachmittag seine Landung. Vor dem Flughafen wurden zwei Autos der ecuadorianischen Vertretung gesichtet, und am frühen Abend war es dann offiziell: Außenminister Ricardo Patiño bestätigte via Twitter, dass Snowden Asyl in Ecuador beantragt habe. Das Land bietet auch WikiLeaks-Chef Julian Assange Unterschlupf in seiner Londoner Botschaft. Zuvor war spekuliert worden, Snowden wolle in Venezuela Unterschlupf finden, da er laut Aeroflot einen Weiterflug dorthin habe, via Kuba.

Warum ihn Hongkong trotz Auslieferungsantrags mit Washington ausreisen ließ? Die von den USA vorgelegten Dokumente „erfüllen nicht vollständig die rechtlichen Anforderungen", teilte die Hongkonger Regierung mit. Man habe um zusätzliche Informationen gebeten, die aber noch nicht vorgelegen hätten. So habe es „keine rechtliche Grundlage" gegeben, Snowden an der Ausreise zu hindern, hieß es. Hätte es trotzdem gegeben, wenn der Bericht des Senders ABC stimmt, dass die US-Behörden Snowdens Pass für ungültig erklärt haben.

Auch Uni angeblich ausgespäht

Zuvor sorgte ein Gespräch Snowdens mit der „South China Morning Post" für Furore, in dem er die US-Regierung der Cyberspionage in großem Stil bezichtigt hatte. So habe der US-Geheimdienst NSA mit dem Spähprogramm Prism chinesische Mobilfunkanbieter angezapft und dabei Millionen SMS gesammelt. Zudem habe er sich ins System der Tsinghua-Universität in Peking gehackt, eine der renommiertesten Forschungseinrichtungen in China. Vor allem in der Software-Entwicklung gilt sie als führend. Chinesische Medien sprachen von „Wirtschaftsspionage".

Auch die Hongkonger Universität und das Glaskabelnetz des Betreibers Pacnet seien von Cyberattacken betroffen.
Nur sechs Minuten nachdem die Aeroflot-Maschine mit dem 30-Jährigen an Bord den Hongkonger Flughafen in Richtung Moskau verlassen hatte, holte die staatliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua zum großen verbalen Schlag aus: Jahrelang hätten sich die USA als unschuldiges Opfer von Cyberattacken dargestellt und mit dem Finger auf andere gezeigt, dabei seien sie die „größten Schurken unserer Zeit".

Bevor sich die USA mit Snowdens Auslieferung beschäftigen, sollten sie „erst einmal reinen Tisch machen", was ihre Hackerattacken angehe, forderte ein beißender Kommentar: „Sie schulden China und anderen Ländern, die sie ausspioniert haben sollen, eine Erklärung."
In den vergangenen Monaten waren es die USA, die China Hackerattacken und Computerspionage vorwarfen. US-Medien und Kongressabgeordnete berichteten immer wieder über Cyberattacken aus China auf Einrichtungen der USA. Die „New York Times" gab Ende des vergangenen Jahres eine Studie heraus, in der die chinesischen Angriffe bewiesen werden sollten. Chinas Führung wies die Vorwürfe stets von sich und beteuerte, dass sie selbst Opfer von Computerspionage sei.

Diplomatischer Eklat vermieden

Snowdens Enthüllungen bringen die USA nun aber gewaltig in Erklärungsnot. Die US-Regierung und auch die ansonsten stets auskunftsfreudige US-Botschaft in Peking wollten sich trotz mehrfacher Anfrage nicht äußern. Selbst Chinas bekannter Künstler und Dissident Ai Weiwei, der viele Jahre lang in den USA gelebt hatte, nannte das Vorgehen der USA „beschämend" und „einen Angriff auf die Freiheit der ganzen Welt".
Chinas Führung sei durchaus erfreut über Snowdens Ausreise, heißt es aus diplomatischen Kreisen in Peking. Denn das vermeidet einen diplomatischen Eklat.

Auf einen Blick

Edward Snowden hat die massive Internetspionage der USA enthüllt. Der IT-Experte hatte durch seine Arbeit für die NSA Zugriff auf zahllose Geheimdienstdokumente. Zuletzt gab er Infos über ein britisches Telefon- und Internet-Überwachungsprogramm preis sowie über Datenspionage von US-Diensten in China. Die US-Regierung hat Anklage wegen Geheimnisverrats und Spionage gegen Snowden erhoben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2013)

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