Arabischer Frühling: „Demokratie heißt mehr als Wahlen“

Pomianowski
Pomianowski(c) EPA (JULIEN WARNAND)
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Kämen in der arabischen Welt mehr Junge an die Macht, sähe es dort bald besser aus, glaubt Jerzy Pomianowski. Seine „Europäische Demokratiestiftung“ soll sie unterstützen.

Die Presse: Sind die arabischen Gesellschaften noch nicht bereit für Demokratie?

Jerzy Pomianowski: Ich habe seit 20 Jahren mit dem Nahen Osten zu tun. Ich lehne Kommentare, wonach arabische Staaten nicht reif für Demokratie seien, völlig ab. Es ist ein total falscher Ansatz, Demokratie mit dem Westen gleichzusetzen. Wir müssen tiefer gehen. Demokratie heißt mehr als Wahlen, es heißt auch: das Recht, den Glauben und den Lebensstil des anderen zu respektieren. Das ist auch im Kern des Islam angelegt.


Wer auf Libyen oder Ägypten blickt, kann auch zu einer weniger optimistischen Sichtweise gelangen.

In Libyen war der Staat gleichbedeutend mit dem Gaddafi-Regime. Mit der Ausschaltung Gaddafis verschwand auch die Staatsstruktur. Libyen braucht Unterstützung im Staatsaufbau. In Ägypten funktioniert der Staat, auch wenn es dort Korruption und andere Probleme gibt. Ägyptens politische Eliten sollten mehr jüngere Leute einbinden, um die Energie des Tahrir-Platzes zu nützen, und zwar quer durch alle Parteien. Wenn mehr Junge an die Macht kommen, werden wir in ein paar Jahren ein neues Ägypten sehen.

Hat Polen denn überhaupt Interessen im Nahen Osten?

Es gibt traditionell gute Verbindungen. Vor allem aber betrachten wir es als moralische Verpflichtung, unsere Transformations-Erfahrungen zu teilen. Wir empfinden natürliche Sympathie mit den jungen Leuten in Nordafrika, die ihre Gesellschaften verändern wollen.

Es gibt bereits die „Europäische Initiative für Demokratie und Menschenrechte“ und die „Fazilität für Zivilgesellschaft“. Wozu ist da noch Ihre „Europäische Demokratiestiftung“ nötig?

Diese Frage sollten Sie den potenziellen Nutznießern stellen. Aktivisten in Libyen, Ägypten, Weißrussland oder der Ukraine haben ungeduldig darauf gewartet, dass die Stiftung ihre Arbeit aufnimmt. Die Institutionen, die sie nannten, sind groß und gut organisiert, aber sehr langsam.
Es besteht Bedarf nach schnellerem Handeln und innovativeren Ansätzen. Unsere Stiftung füllt Lücken. Wir wollen all jenen Gruppen und Aktivisten unter die Arme greifen, die nicht so leicht Unterstützung von anderen Quellen erhalten können.

Warum sollte Ihre Stiftung schneller als bestehende Organisationen sein?

Wir werden viel schneller sein. Ein Beispiel: Bei den bestehenden Institutionen muss man Anträge auf Englisch einreichen. Wir werden auch Anträge auf Russisch oder Arabisch akzeptieren, auch von Gruppen, die in ihren Staaten noch nicht registriert sind. Das ist nicht nur in Weißrussland hilfreich, wo die Registrierung von NGOs praktisch unmöglich ist, sondern auch in Ägypten, wo der Registrierungsprozess oft zwei bis drei Jahre dauert.

Warum hat es so lange gedauert, die Stiftung einzurichten?

Polens Außenminister Sikorski hat die Idee im Februar 2011 zu Beginn der Umstürze in Nordafrika aufgebracht. Mittlerweile ist der Arabische Frühling schon wieder vorbei. Aber der Bedarf besteht noch immer. Fragen Sie einmal in Brüssel, wie viel Zeit es braucht, eine neue Initiative in der EU aufzusetzen: vier bis fünf Jahre. Wir haben zwei Jahre gebraucht.

Kann ausländische Unterstützung für Demokratiegruppen nicht auch kontraproduktiv sein, weil sie dann von ihren Regimen leichter als fünfte Kolonne diskreditiert werden können?

In Polen und Mitteleuropa haben wir damals viel Unterstützung im Kampf für unsere Demokratie erhalten. Als Einmischung haben wir das nie erachtet. Wenn Regime NGOs diskreditieren, zeigt das noch umso mehr, wie sehr unsere Unterstützung nötig ist. Mich macht sehr betroffen, dass viele Regierungen des alten Europa unsere neue Stiftung noch immer nicht mit Beiträgen unterstützen.

Sie meinen vor allem Deutschland.

Deutschland fehlt noch immer auf unserer Liste. Das ist enttäuschend und überraschend für uns.

Weil Merkel und Westerwelle gerne die moralische Komponente ihrer Außenpolitik betonen?

Das stimmt. Aber ich glaube noch immer, dass Deutschland seinen Beitrag leisten wird.

Und Österreich?

Bis jetzt habe ich noch keine Information über einen etwaigen Beitrag erhalten. Ich warte noch auf positive Nachrichten aus Wien. Insgesamt sind uns bisher 25 Millionen Euro zugesagt worden. Das ist bescheiden, aber auch nicht so wenig. Die EU-Kommission gibt sechs Millionen Euro, Polen fünf Millionen Euro für die nächsten drei Jahre. Schweden und Dänemark haben für den Anfang je eine Million Euro bereitgestellt und gesagt, dass sie das wiederholen werden. Auch die Niederlande und die Schweiz haben bereits Beiträge zugesagt.

In Russland plant Ihre Demokratiestiftung keine Aktivitäten?

Im Moment nicht. Unser geografisches Mandat umfasst jedoch Weißrussland, die Ukraine, Moldawien, Aserbaidschan, Armenien, Georgien sowie Algerien, Marokko, Tunesien, Ägypten, Jordanien, den Libanon, Syrien und die Palästinensergebiete.

Zur Person

Jerzy Pomianowski (geboren 1960) ist ein polnischer Berufsdiplomat. 1997 bis 2002 war er Botschafter in Japan. In seiner Jugend gehörte er der studentischen Oppositionsbewegung gegen die KP an. Im Juli 2011 stieg der studierte Soziologe zum Staatssekretär im Außenministerium auf.

Diplomatiechef Radek Sikorski vertraute ihm eines seiner Lieblingsprojekte an: Jerzy Pomianowski ist Exekutivdirektor der „Europäischen Demokratiestiftung“, die Ende Mai ihr Büro in Brüssel eröffnet hat. Ihr Ziel ist die Förderung demokratischer Strukturen vor allem im arabischen und postsowjetischen Raum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2013)

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