James Bamford: "Die NSA legt die Bürger aufs Kreuz"

James Bamford legt Buerger
James Bamford legt Buerger(c) EPA (ANDREAS GEBERT)
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1982 schrieb James Bamford das erste Buch über den US-Geheimdienst NSA. Er warnt vor dem Irrglauben, als braver Bürger habe man nichts zu befürchten. Ein "Presse"-Interview.

Edward Snowdens Enthüllungen über die NSA sollten niemanden erstaunen, der Ihre Bücher gelesen hat. Waren Sie trotzdem überrascht?

James Bamford: Einige Details waren brandneu. Manche Statistiken waren sehr interessant, zum Beispiel jene, dass die NSA in dem Programm XKeyScore im Jahr 2012 binnen eines Zeitraums von nur 30 Tagen gut 41 Milliarden Kommunikationen gespeichert hat. Im Großen und Ganzen aber haben diese Dokumente nur das für echt verbürgt, was die NSA seit Langem tut.

Haben Sie Snowden jemals getroffen?

Nein. Kaum jemand hat ihn getroffen. Als er diese Sachen zu veröffentlichen begann, war er bereits in Hongkong.

Wozu braucht die NSA überhaupt Programme wie XKeyScore und Prism? Sie haben schon 2008 beschrieben, wie die NSA seit mindestens 2003 so gut wie jede elektronische Kommunikation abzapfen kann, die durch die USA läuft – und zwar direkt in den Serverräumen der Netzbetreiber.

Ja, aber ich glaube nicht, dass sie absolut alles bekommen. Sie belauschen zum Beispiel nur Breitbandglasfaserkabel. Sie horchen aber nicht mehr den Datenverkehr ab, der über Satelliten läuft. Von den Kabeln bekommen sie rund 80 Prozent der Kommunikation, die durch die USA läuft. Für die restlichen 20 Prozent brauchen sie Prism. Und wenn man durch Prism direkten Zugang zu den neun größten Internetunternehmen dieses Landes erhält, bekommt man so ziemlich alles.

Wer hat Ihrer Ansicht nach XKeyScore und Prism programmiert? Waren das Mitarbeiter der NSA? Oder ist das an private Datenfirmen ausgelagert worden?

Es gibt keinen Unterschied zwischen der NSA und diesen Unternehmen. Nach 9/11 brauchte die NSA mehr Leute. Im Grunde sind somit all die Leute, die wie Snowden bei Booz Allen und ähnlichen Firmen arbeiten, NSA-Personal. Sie machen dieselben Sachen. In allen großen Telekomfirmen wie AT&T und Verizon haben sie einen geheimen Raum mit Abhöranlagen von der Firma Narus. Diese Anlagen können von der NSA-Zentrale aus ferngesteuert werden – aber sehr wahrscheinlich ebenso gut von den Büros der privaten Auftragnehmer.

Gibt es irgendein europäisches Land, das nicht mit der NSA zusammenarbeitet?

Nun, man braucht nicht in jedem einzelnen Land einen Punkt, an dem man in das Breitbandnetz einsteigen kann. Manche Kabel laufen von einem Land in das nächste und dann in noch eines und so weiter. Wenn man da an nur einer Stelle Zugang bekommt, kriegt man auch eine Menge Information von allen anderen Ländern. Ich weiß nicht, wie viele Länder mit der NSA kooperieren. Aber alle haben Abwehrdienste. Und diese machen ziemlich dasselbe wie die NSA: lauschen und anzapfen.

Wenn ich jetzt die Wörter „Jihad“, „Obama“ und „Bombe“ google: Was passiert dann bei der NSA?

Nichts. Es gibt zu viele E-Mails, die diese Wörter enthalten. Was sie vielmehr zu tun versuchen, ist, eine möglichst eng zugeschnittene Kombination von Wörtern und Sätzen zusammenzustellen, um eine Spur aufzunehmen. Sie suchen also zum Beispiel nach E-Mails, die die chemischen Bezeichnungen für Sprengstoffe enthalten. Für so etwas können die Terroristen nämlich keine Codewörter benutzen.

In der „New York Review of Books“ haben Sie unlängst geschrieben, dass die NSA „mehr weiß, als Sie glauben“. Was weiß die NSA, wovon wir keine Ahnung haben?

Ich meine, ihr Schwerpunkt lag in jüngerer Zeit auf den Internet-Service-Providern, Firmen wie Yahoo und Ähnlichen. Aber ich lege Wert darauf, dass das nur 20 Prozent der Arbeit der NSA ist. Der Großteil ihres Tuns besteht darin, direkten Zugang zu den Breitbandleitungen zu haben.

Die Geschichte der NSA ist von haarsträubenden Fehlschlägen gepflastert. Wieso schüttet man sie trotzdem mit immer mehr Steuergeld zu, statt sie zuzusperren?

Weil der Kongress keine Ahnung davon hat, wie erfolglos die NSA ist. Sie behauptet zum Beispiel, dass sie den Attentatsplan auf das New Yorker U-Bahn-System durchkreuzt habe. Doch das gelang ihr hauptsächlich dank der Hilfe von den Briten. Aber sie täuscht weiterhin unbeirrt den Kongress. Sie sagt zum Beispiel, sie habe ein Programm zur Sammlung von E-Mail-Metadaten beendet, weil es zu teuer war. Das ist Bullshit! Sie haben es beendet, weil es nicht funktioniert hat. Ständig diese Lügen! Ich glaube, sie könnten nicht einmal dann die Wahrheit sagen, würde man ein Feuer unter ihren Füßen anzünden.

Würden Sie diese Programme auflösen?

Ich würde definitiv das Programm zur Sammlung der Handy-Metadaten beenden. Denn das ist eine totale Zeitverschwendung. Es hat den Times-Square-Bomber übersehen, den Unterhosen-Bomber im Flugzeug nach Detroit und die beiden Boston-Bomber. Diese Typen von der NSA haben ihren Betrug schon so lange aufrechterhalten, und es ist Zeit, dass sie dabei erwischt werden.

Vor zwei Wochen hätte das Repräsentantenhaus im Kongress beinahe dafür gestimmt, die NSA zuzusperren. Ist die öffentliche Meinung in den Vereinigten Staaten wieder so weit wie 1975, als es einen NSA-Untersuchungsausschuss im Kongress gab?

Ja. Die Öffentlichkeit erkennt, dass sie aufs Kreuz gelegt wird. Sobald man der NSA einen Persilschein ausstellt – und das passiert derzeit –, missbrauchen sie das ein ums andere Mal. Die öffentliche Aufmerksamkeit schwingt wie ein Pendel: nach 9/11 nach rechts, und erst jetzt wieder nach links. Darum beruft sich die NSA ja dauernd auf 9/11...

...das sie leicht hätte verhindern können.

Eben. Und darum sagen sie: „Oh, wenn wir nur all diese Möglichkeiten zur Telefonüberwachung gehabt hätten.“ Nein: Die NSA hat die Bomber vom 11.September abgehört. Sie hätte bloß ihre Erkenntnisse mit dem FBI oder dem Außenministerium teilen müssen, damit diese Typen nicht in die USA einreisen können. Die Amerikaner müssen ihre Terrorhysterie überwinden. Das ist total geisteskrank. Wie vernünftig ist es, wenn man keine Shampooflasche ins Flugzeug mitnehmen darf, aber so viele Sturmgewehre kaufen kann, wie man will?

Frank Church, der Kongressabgeordnete, der 1975 die nach ihm benannte NSA-Kommission geleitet hatte, warnte davor, dass „es jetzt die Kapazität dazu gibt, die totale Tyrannei in Amerika einzurichten“. Wie ist das heute noch möglich, mit einem Friedensnobelpreisträger im Weißen Haus?

Church sagte nicht, dass wir in einem totalitären Staat leben. Aber wir sind nahe an einem schlüsselfertigen totalitären Staat. Wenn man einen Präsidenten wie Nixon oder George W. Bush bekommt, der sich nicht um das Recht schert, sind die Schlüssel bereit. Er muss ihn nur noch umdrehen. Und die NSA hält diesen Schlüssel bereit.

Wie viele Leute in der NSA sind eigentlich damit befasst, Sie zu überwachen?

Ach, uns verbindet eine Hassliebe: Ich liebe sie, und sie hassen mich. Für mein erstes Buch haben sie mir zweimal Strafverfolgung angedroht, weil ich mich geweigert habe, geheime Unterlagen zurückzugeben. Für mein zweites Buch, das im Mai 2001 herauskam, haben sie dafür eine Signierstunde in der NSA veranstaltet. Der NSA-Direktor Michael Hayden hat mich zum Abendessen zu sich in sein Haus eingeladen. Aber dann habe ich gesehen, was er nach 9/11 alles getan hat. Und in meinem nächsten Buch habe ich sie verrissen. Dieses Buch haben sie gehasst.

Viele Leute sagen: „Was soll's, wenn mich die NSA ausspioniert. Ich habe ja nichts zu verbergen.“ Was sagen Sie ihnen?

Erstens: Glauben Sie wirklich, dass Sie es mit einer Agentur zu tun haben, die akkurat arbeitet? Der Senator Ted Kennedy kam Monate lang nicht von der Flugverbotsliste. 875.000 Menschen sind auf dieser Watch-List. Und es passieren so viele Fehler: Es kann Ihnen passieren, dass Ihr Antrag auf einen geförderten Kleinunternehmerkredit abgelehnt wird, weil Sie im selben Haus wie jemand wohnen, der auf der Liste steht. Oder Sie sind die Babysitterin von so einer Person, und Sie telefonieren ein-, zweimal pro Woche mit ihr. Und diese Person telefoniert noch mit 100 anderen Leuten. Und jeder von ihnen ebenfalls. Und so kommt man auf zehntausende Menschen, die nichts getan haben und trotzdem in einer Datenbank landen, weil die NSA prüfen will, ob man wirklich Automechaniker ist oder Terrorpläne verheimlicht. Und ob die Babysitterin wirklich auf ein Baby aufpasst oder „Baby“ das Codewort für eine Bombe ist. Sie sind nicht so unschuldig, wie Sie denken. Wenn das Ted Kennedy zustoßen kann, kann es jedem zustoßen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.08.2013)

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