Wie der einstige Hoffnungsträger Mohammed ElBaradei mithalf, die entstehende ägyptische Demokratie zu Grabe zu tragen.
Kairo/M. g. Er ist die tragische Figur in dem ägyptischen Drama: Angetreten als selbst gekürter Retter der Demokratie, ist Mohammed ElBaradei stattdessen zu einem der Totengräber der jungen Demokratie am Nil geworden. Sechs Wochen nach Antritt seiner Kurzkarriere als Übergangsvizepräsident warf der 71-Jährige am Mittwochabend das Handtuch und trat zurück. Kein Oppositionspolitiker zuvor hatte sein Prestige so intensiv in die Waagschale geworfen, um den ersten demokratisch gewählten Präsidenten Ägyptens, Mohammed Mursi, aus dem Amt zu hebeln. Und keiner hat am Ende seinen Einfluss auf das liberale Lager, die alte Mubarak-Garde und das Militär so überschätzt, wie der 2005 gekürte Friedensnobelpreisträger.
Für den Westen war ElBaradei das liberale Gesicht Ägyptens, auch wenn er meist hinter den Kulissen und aus sicherer Deckung heraus agierte. Bei der Präsidentschaftswahl im Mai 2012 machte er im letzten Moment einen Rückzieher – wohl ahnend, dass er ähnlich wie sein alter Konkurrent Amr Moussa wohl nicht über zehn Prozent hinauskommen würde. Offiziell verbreitete er als Begründung, der Urnengang würde mit Sicherheit nicht frei und fair verlaufen, eine Befürchtung, die sich als haltlos erweisen sollte.
Hang zu einsamen Entscheidungen
Stattdessen gründete er seine eigene „Verfassungspartei“. Bald hielten junge Mitglieder ihrem Vorsitzenden Missmanagement, abgehobenes Benehmen und einsame Entscheidungen vor. Nach dem Militärputsch scheiterte seine Ernennung zum Übergangspremier am Veto der Salafisten. Zwei Tage später machte ihn Interimspräsident Adly Mansour dann zu seinem Vize, zuständig für die Auslandsbeziehungen.
Am 17. Juni 1942 geboren, studierte ElBaradei Jura an der Universität von Kairo und begann seine Karriere 1964 als junger Diplomat im Außenministerium. Anschließend arbeitete der Vater zweier Kinder in der Vertretung Ägyptens bei der UNO, erst in Genf, dann in New York, wo er in internationalem Recht promovierte. 1984 wechselte er an die Internationale Atomenergiebehörde IAEA nach Wien, dort stieg er innerhalb von 13 Jahren bis zum Chef auf. Seine harten Auseinandersetzungen mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush über die angeblichen Massenvernichtungswaffen von Saddam Hussein brachten ihm den Nobelpreis ein.
Blutbad „wäre vermeidbar gewesen“
Im Post-Mubarak-Ägypten entwickelte er sich zum kompromisslosen Gegner der Muslimbrüder und wichtigsten Gegenspieler von Mursi. Den frommen Mächtigen hielt er vor, ihre Regierung sei unqualifiziert, Ägypten auf dem Weg in einen gescheiterten Staat. Die öffentliche Ordnung zerfalle, die Wirtschaft stehe vor dem Ruin. Seit dem Frühjahr beteiligte er sich an geheimen Gesprächen mit der Generalität im illustren Marine-Offiziersklub am Kairoer Nilufer. Bei der TV-Ansprache von Armeechef Abdel Fattah al-Sisi saß ElBaradei mit auf der Bühne, rechtfertigte die Machtübernahme des Militärs anschließend als „unausweichlich“. Mursi habe leider seine eigene Legitimität ausgehöhlt, indem er sich zum neuen Pharao ernannt habe.
Nun hat ElBaradei selbst, bereits sechs Wochen nach der angeblichen „Zweiten Revolution“, aufgeben müssen, von der außer Rand und Band geratenen ägyptischen Presse kübelweise mit Schmähungen überschüttet. „Es war zu schwierig geworden, weiter Verantwortung für Entscheidungen zu tragen, denen ich nicht zustimme und deren Folgen ich fürchte“, twitterte er nach dem Massaker. Sein Gewissen sei erschüttert durch den Verlust an Menschenleben, „weil ich überzeugt bin, dass dies vermeidbar gewesen wäre“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.08.2013)