Istanbul: Farbenstreit auf türkisch

Farbenstreit tuerkisch
Farbenstreit tuerkisch(c) EPA (Mladen Antonov)
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Eine private Initiative hatte Treppen in der Altstadt bunt angemalt, wenig später waren sie wieder grau übermalt. Ein Werk der „spaßfeindlichen“ Regierungspartei AKP?

Hüseyin Cetinel wollte einfach nur mehr Farbe in den grauen türkischen Alltag bringen: Der 64-jährige Cafébesitzer und ehemalige Ingenieur machte sich deshalb vor Tagen in Istanbul zusammen mit einigen Helfern an ein ehrgeiziges Projekt: Die fröhliche Truppe malte eine jener Treppen, die in den hügeligen Altstadtvierteln an einigen Stellen Schneisen durch die meist grauen oder braunen Häusermassen schlagen, in den Farben des Regenbogens an. Einen ganzen Tag lang hatten sie an rund 200 Stufen herumgepinselt und 40 Kilogramm Farbe verbraucht.

Als das Werk nach all der Mühe und einer Investition von rund 560 Euro aus eigener Tasche beendet war, schillerten die bis dahin grauen Treppenstufen wie ein bunter Teppich von Violett über Blau, Grün und Gelb bis Rot. Der Farbtupfer im großstädtischen Alltagsgrau sprach sich blitzschnell herum, hunderte Neugierige machten Fotos, ein Brautpaar ließ sich vor dem knallbunten Hintergrund ablichten.

Die Leute sollten etwas zu lächeln haben, sagte Cetinel der türkischen Presse über das Projekt. Aber das Lächeln hielt nicht lange: Unbekannte überstrichen die bunte Treppe nach einigen Tagen im Schutz der Dunkelheit – mit Grau.

Generalverdacht gegen die Frommen

Dahinter stecke wohl die von der religiös-konservativen Regierungspartei AKP beherrschte Verwaltung des Istanbuler Stadtteils Beyoglu, schimpfte die bürgerliche Presse. Passanten wollen in den frühen Morgenstunden Fahrzeuge der Stadt in der Gegend gesehen haben. Eindeutige Beweise gab es nicht, eher den Generalverdacht, dass den Frommen von der AKP eben jede Art von Lebensfreude ein Graus ist.

Erst vor Kurzem hatte die Regierung von Premierminister Recep Tayyip Erdoğan den Verkauf von Alkohol massiv erschwert, was bei vielen Leuten in Beyoglu, dem Vergügungs- und Ausgehviertel Istanbuls, große Entrüstung auslöste.

„Habt ihr jetzt schon Angst vor Farbe?“, fragte ein Leser der Online-Ausgabe der Zeitung „Hürriyet“. Andere rieten der Stadtverwaltung, sie soll doch alles schön grau anmalen „wie in der Kaserne“. In vielen Kommentaren wurden die Grautöne mit der harten Reaktion des Staates auf die regierungsfeindlichen Unruhen um den Gezi-Park im Juni verglichen. „Selbst die Treppen wurden zum Schweigen gebracht“, lautete ein Kommentar. Doch das Rathaus wies jede Schuld von sich: Man gehe selbst der Frage nach, wer hinter der Nacht-und-Nebel-Aktion stecke, mit der die Treppe wieder grau wurde.

„Wir malen sie noch einmal an“

Während die Untersuchung noch läuft, schmieden die Treppenmaler neue Pläne: Cetinels Helfer Volkan Tecimeroglu sagte, die Leute im Viertel, die inzwischen von vielen Nutzern sozialer Medien unterstützt werden, ließen sich nicht kleinkriegen: „Wir malen die Treppe noch einmal an.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.09.2013)

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