Der Bericht der UN-Inspektoren soll klare Hinweise enthalten, dass das Assad-Regime C-Waffen einsetzte. Explizit darf das aber nicht gesagt werden. Das könnte nur Ban tun.
[Wien/New York/ag/hd] Es sind Momente, in denen Ban Ki-moon wohl lieber nicht UN-Generalsekretär wäre. Dem für seine Zurückhaltung bekannten UN-Generalsekretär obliegt es nämlich nun, aus dem Bericht seiner Chemiewaffeninspektoren in Syrien Schlüsse zu ziehen – und eventuell einen Schuldigen für die Giftgasangriffe vom 21. August zu benennen, bei denen möglicherweise mehr als tausend Menschen gestorben sind. Es gebe „überwältigende Beweise“ für einen Giftgasangriff, sagte der UN-Generalsekretär am Freitag in New York und warf Syriens Präsidenten Bashar al-Assad „viele Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ vor. Explizit verantwortlich für die C-Waffen-Attacke machte er Assad aber nicht. Er könne sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht weiter äußern, sagte Ban. Er habe den Bericht der Inspektoren noch nicht erhalten.
Proben deuten auf Sarin hin
Der Bericht soll am Montag vorgestellt werden. Diplomaten und UN-Vertreter bestätigten, er werde offenbar deutliche Hinweise enthalten, dass der Angriff von Assads Truppen verübt wurde. Nun sei Ban am Zug.
Ein Online-Bericht des US-Magazins „Foreign Policy“ hatte dies bereits in der Nacht auf Donnerstag unter Berufung auf einen hohen westlichen Regierungsvertreter angekündigt: „Es scheint, als wären sie (die Inspektoren; Anm.) sehr zufrieden mit der Fülle an Beweisen, die sie gesammelt haben. Und man kann von der Art der Beweise auf den Urheber schließen“, zitiert das Magazin seine Quelle. Wer die Angriffe verübt hat, dürfen die UN-Inspektoren in ihrem Bericht auch gar nicht explizit sagen. Erst mit diesem Kompromiss war es ihnen ermöglicht worden, die Attacken zu untersuchen. Freilich können sie ihre Erkenntnisse so präsentieren, dass es trotzdem eindeutig ist, und genau das dürften sie tun: „Wir erwarten, dass die Fakten für sich sprechen“, wird ein UN-Mitarbeiter in New York zitiert.
Die Inspektoren unter Leitung des Schweden Ake Sellstörm waren ursprünglich nur damit beauftragt gewesen, drei länger zurückliegende mutmaßliche Giftgasangriffe zu untersuchen. Wenige Tage nach ihrem Eintreffen in Syrien ereignete sich aber das Massaker vom 21. August, bei dem rasch klar war, dass Giftgas eingesetzt wurde. Laut den USA haben Analysen entnommener Proben zweifelsfrei ergeben, dass es sich um den Kampfstoff Sarin gehandelt habe.
Erst diese Woche hat Syriens Regierung hochoffiziell ihr Chemiewaffenprogramm bestätigt und Moskaus Vorschlag akzeptiert, ihr C-Arsenal unter internationale Kontrolle zu stellen. Über die Bedingungen dazu wird derzeit verhandelt. In der Nacht auf Freitag hat Damaskus angekündigt, der Chemiewaffenkonvention beizutreten. Der entsprechende Antrag sei an die UNO ergangen.
Wo sind die Kampfstoffe gelagert?
Westliche Geheimdienste vermuten eine Gesamtmenge von 1000 Tonnen C-Kampfstoffe. Wo diese gelagert sind, wird immer unübersichtlicher: „Es scheint, dass Syriens Regierung ihr Arsenal an weniger Orten zusammenzieht“, heißt es in einem aktuellen Bericht des in Israel beheimateten Internationalen Instituts für Terrorabwehr (ICT). Die Experten berufen sich auf Hinweise von US-Geheimdiensten Ende 2012, dass es „signifikante Bewegungen“ der Bestände gebe. Zudem hätten die Russen den Syrern geraten, ihre Bestände an vier Lagerstätten zu konzentrieren. Dem widerspricht eine aktuelle Einschätzung der US-Regierung, wonach Teile des Arsenals über das ganze Land verteilt würden und an 50 Orten gelagert seien, wie das „Wall Street Journal“ berichtete. Das würde die Arbeit der Inspektoren ebenso erschweren wie eine eventuelle Militäraktion zur Sicherung der Chemiewaffen.
Am Freitag wurden die Gespräche in Genf zwischen US-Außenminister John Kerry und Russlands Außenminister Sergej Lawrow zur Vorbereitung einer Friedenskonferenz fortgesetzt. Man wolle sich Ende September nochmals treffen, in der Hoffnung, Fortschritte bei der Internationalisierung syrischer Chemiewaffen könnten ein positives Momentum für eine Friedenskonferenz darstellen, über die seit Monaten erfolglos verhandelt wird. Doch ob sich in Bezug auf die C-Waffen Fortschritte einstellen, ist fraglich.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2013)