Wahlen in Weiß-Blau: Was Bayern so besonders macht

Er hat Sonntagfrüh bereits seine Stimme abgegeben. CSU-Chef Horst Seehofer wird wohl Bayerns Ministerpräsident bleiben.
Er hat Sonntagfrüh bereits seine Stimme abgegeben. CSU-Chef Horst Seehofer wird wohl Bayerns Ministerpräsident bleiben.(c) REUTERS
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Laptop und Lederhose, „Mia san mia“ und Orgien im Bierzelt: Bayern ist die Heimat der Klischees, und seine Bewohner bedienen sie gern und kräftig. Grund genug, am Wahlsonntag manches zu hinterfragen.

Bayern ist die Heimat der Klischees. Eines davon ist einfach wahr. Man könnte es das Metaklischee nennen: dass die Bayern jedes Klischee gern bedienen. Nicht Reiseführer oder Norddeutsche, die Einheimischen selbst produzieren die bunten Bilder, die man in aller Welt mit ihrer Region verbindet. Wobei man als Nicht-Bayer damisch aufpassen muss: So manches, was unsere reichen, traditionsbewussten, bierseligen und bei Föhnlagen grantigen Nachbarn über sich und ihr Land suggerieren, stimmt so nicht.

Was nicht heißt, dass sie lügen. „Unlängst war ich in Portugal“, erzählt Horst Seehofer auf Wahlkampftour, in einem Bierzelt in Erding, zwischen Defiliermarsch und Bayernhymne. „Da hat mich die Protokolldame der Regierung darauf angesprochen, dass Bayern doch ein selbstständiger und unabhängiger Staat sei.“ Der leutselige CSU-Ministerpräsident grinst frech: „Ich hab ihr so geantwortet, dass sie es heut noch glaubt.“ Das Zelt tobt, das Erdinger Weißbier fließt in Strömen. „Sollen sie uns nur für unabhängig halten! Im Herzen sind wir es ja.“

Mythos Freistaat. Auch das mit dem „Freistaat“ ist ein Jux. Dieser Beiname bedeutet rein gar nichts mehr. Im frühen 19. Jahrhundert zeigte ein deutscher Kleinstaat damit an, frei von Monarchen zu sein. Also eine Republik, was heute selbstverständlich ist. Zur Weimarer Zeit wurde der Titel allen Flächenländern amtlich vorangestellt. Nach der Wende haben ihn Sachsen und Thüringen wieder angenommen. Aber einzig die Bayern reiten so hartnäckig auf ihrer Freistaaterei herum, dass viele meinen, es stünde ein schwer erkämpftes Autonomiestatut dahinter. Nichts da, jedes Bundesland hat die gleichen föderalen Rechte.

Vor Seehofer hat eine Kreisrätin eine reichlich regionalpatriotische Rede geschwungen. Sie ist blond, temperamentvoll, hört auf den Vornamen Ulrike und den sprechenden Nachnamen Scharf. „Wir sind Menschen, die fleißig arbeiten, fest feiern und zusammenhalten beim Hochwasser.“ Solche Menschen brauchen keine Grünen, die ihnen einen Gemüsetag aufzwingen wollen: „Das Weißbier hat Vitamine genug. Und wenn i heut a Hendl essen mag, dann ess i a Hendl.“

Da ist er wieder, der Drang nach Freiheit und Unabhängigkeit. Aber wir sind misstrauisch geworden und klopfen die identitätsstiftenden Narrative lieber ab: Was steckt hinter der CSU-Allmacht? Wie kam es zum wundersamen Aufstieg Bayerns vom Agrarland zum Hightech-Standort? Wie steht es um Tradition und alte Werte? Und um den Freiheitsdrang?

Leben und leben lassen: Das reklamieren die Bayern als Wahlspruch für sich. Dabei ist es mit der großen Freiheit nicht weit her. Dazu ist die Ordnungsmacht zu präsent und die Regeldichte zu hoch. Wenn in München zehn Menschen demonstrieren, werden sie von gefühlten 500 Polizisten in Schach gehalten. Wer in einem bayerischen Waldstück seinen Wagen parkt, wo er niemanden stört oder behindert, bekommt einen Strafzettel (selbst erlebt).

In der Nacht vor einem stillen Feiertag mit Tanzverbot protokollieren Herren vom Ordnungsamt in einem Club, wie viele Gäste „rhythmisch mit den Beinen wippen“. Und an welchem anderen Ort der Welt käme man auf die Idee, zur Durchsetzung eines Ladenschlussgesetzes den Nichtautofahrern das Einkaufen im Tankstellenshop zu verbieten? Nur bei emotionalen Themen verteidigt der bayerische Bürger seine Freiheit mit revolutionärem Impetus. Seit über 30 Jahren sonnen sich am Eisbach mitten im Englischen Garten die „Nackerten“, vor den Augen staunender Touristen aus Asien und Übersee. Der Kampf gegen das Rauchverbot im Bierzelt ist zwar verloren. Aber als der Jungpolitiker Sebastian Frankenberger, Initiator eines Volksbegehrens für Nichtraucherschutz, jüngst einen dieser Tempel bayerischer Lebensart betrat, zündeten Kellner und Gäste spontan und kollektiv Zigaretten an – der Bier-Bayer in der Revolte.

Die Bastion CSU. Vor fünf Jahren schien nivellierende Normalität in Bayern einzukehren. Die CSU war seit 1962 ständig mit absoluter Mehrheit an der Macht, länger als jede Militärdiktatur und viele kommunistische Regimes. Bei der Landtagswahl 2008 aber erlitt sie eine historische Niederlage. Das Ergebnis – schlappe 43 Prozent – zwang sie zu einer demütigenden Zusammenarbeit mit der bis dahin kaum wahrgenommenen FDP. Ziemlich zeitgleich begann der FC Bayern, in Serie Spiele zu verlieren.

Aber mittlerweile scheint wieder alles im Lot: Die CSU hat gute Chancen, heute ihre Absolute zurückzugewinnen, und der FC Bayern hat erstmals das Triple von Liga, Pokal und Champions League geschafft. Was aber sagt es über diesen Volksstamm aus, wenn er ständig dieselbe, ihrem Ruf nach stockkonservative Partei wählt?

Nun, sozialpolitisch war die CSU immer schon eine echte Volkspartei. Und gesellschaftspolitisch gibt sie sich in letzter Zeit etwas biegsamer. Krippen- und Hortplätze etwa galten noch vor wenigen Jahren als Teufelszeug für gottlose Rabenmütter. Heute werden sie im Wahlprogramm garantiert.

Doch um Ideologie geht es nicht. Die Bayern wählen die CSU, weil sie Bayern vertritt. Als einzige Region eine eigene Fraktion im Bundestag in Berlin zu haben, ist ein Privileg. Es funktioniert nur, wenn die Bürger ihre Staatspartei mit Macht ausstatten. Sprich: Sie mit (fast) absoluter Mehrheit wählen. Die Bayern halten ihr Land für etwas Besonderes: 79 Prozent leben nach einer Studie des Bayerischen Rundfunks „sehr gern“ in ihrem „Staat“, 85 Prozent sind stolz auf ihn. Dabei ist er historisch betrachtet ein künstliches Gebilde: Erst der Eindringling Napoleon sorgte dafür, dass aus den disparaten Ländchen Baiern, Franken und Schwaben eine Einheit wurde.

Wirtschaft ohne Wunder. Noch etwas erzählt Seehofer gern: „Vor Kurzem habe ich mit dem Ayrault drei Stunden lang Abend gegessen.“ Der französische Premier kennt Bayern von früher, 1970 studierte er ein Semester lang in Würzburg. „Er hat mich gefragt: Wie habt ihr Bayern das nur gemacht?“ Was den Franzosen in Staunen versetzt: Die Region wandelte sich in wenigen Jahrzehnten vom Armenhaus Westdeutschlands zu einer der reichsten Regionen Europas, vom rückständigen Agrarland zum Hotspot der Hochtechnologie. Siemens, BMW, Audi, MAN, Infineon – alles „made in Bavaria“. Nirgends in Deutschland gibt es weniger Arbeitslose, nirgends (außer in Sachsen) ist die Pro-Kopf-Verschuldung geringer. Dahinter stand aber kein Masterplan oder die ökonomische Weisheit von Franz Josef Strauß, sondern das Glück der Tüchtigen. Bayern hat keine Bodenschätze und deshalb auch keine traditionelle Schwerindustrie. Der Nachteil erwies sich als Chance: Dem Land blieben die Schmerzen des Strukturwandels erspart. Keine geschlossenen Kohlengruben, keine Streiks im Stahlwerk, kein Blues wie im Ruhrpott.

Stattdessen sprangen die Bauern vom Traktor herunter und direkt hinein ins Labor oder Konstruktionsbüro. Die einzige Ressource, die der klugen Köpfe, wurde stark angereichert: durch Millionen Vertriebene vor allem aus dem Sudetenland.

Die Tradition assimiliert. Ein Bursch aus Manchester käme nie auf die Idee, sich zum Ausgehen am Wochenende in derbe Bauerntracht zu werfen, die schon sein Urgroßvater trug. Ein Mädchen aus Mailand würde die Flucht ergreifen, wollte man sie in bunte, eng geschnürte Folklorekostüme stecken.

Viele junge Bayern hingegen fühlen sich in nichts wohler als in Lederhose und Dirndl: Stattliche 72 Prozent der 14- bis 29-Jährigen finden es wichtig, regionale Traditionen zu pflegen. Und für immerhin 43 Prozent gehört das Tragen von Tracht selbstverständlich dazu. Tendenz: stark steigend.

Was steckt dahinter? Auch hier hilft ein Blick auf die Statistik: Die „Zuagroasten“ aus dem Ausland preisen ihre neue Heimat so enthusiastisch wie die Eingeborenen – und tragen ebenso gern Tracht. Schon die Sudetendeutschen waren bemüht, die Neuheit ihres Bayerntums durch Intensität ihres Bayerntums wettzumachen. Wer in einer so wohlhabenden und schönen Gegend lebt, freut sich über Symbole, durch die er zeigen kann: Ich gehöre dazu, bin Teil der Marke. Die Tradition grenzt nicht aus, sie assimiliert.

So wird das Oktoberfest, die größte legale Drogenparty der Welt, zugleich Hort der Tradition wie Freiraum. Dort tummeln sich Afrikanerinnen und Latinos, Schwule und Lesben, Bergbäuerinnen und Manager. Der Gerstensaft und die Tracht vereinen alle. So sitzen sie im Biergarten, trinken aus Literkrügen, zuzeln an Weißwürsten, granteln über „Saupreißn“ und Sozis – und sind zufrieden bis ans Ende ihrer Tage.

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Ministerpräsident Horst Seehofer will offiziell die Koalition mit der FDP fortsetzen. Tatsächlich könnte seine CSU aber auch eine absolute Mandatsmehrheit schaffen und wieder allein regieren – wie durchgehend von 1962 bis 2008. Die Liberalen drohen an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.

...und seine Jäger
Christian Ude, der Bürgermeister von München, kämpft für einen Machtwechsel in Bayern. Fixer Partner wären die Grünen, aber auch die eurokritischen Freien Wähler haben sich als „Königsmacher“ angeboten. In letzten Umfragen liegt das ungleiche Trio allerdings deutlich hinter der CSU.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.09.2013)

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