Nahost: Bei den Tunnelgräbern von Gaza

(c) EPA (ALI ALI)
  • Drucken

Ägypten zerstört die Tunnel, die unter der Grenze in den palästinensischen Gazastreifen führen. Kairo wirft der dortigen Hamas vor, Waffen an Ägyptens Muslimbrüder zu schmuggeln. In Gaza explodieren die Preise.

Seit drei Monaten ist Mohammed Kutkut arbeitslos. Der 23-Jährige, der kaum 60 Kilo wiegen dürfte, hat Schächte ausgehoben. Manchmal zwölf Stunden am Tag räumte er den Schutt aus den Tunneln, die in der Grenzstadt Rafah Ägypten und den Gazastreifen verbinden. „Jetzt werden keine Tunnel mehr gebaut“, sagt Kutkut emotionslos. Grund: Ägyptens Regierung lässt die illegalen, aber lange tolerierten Transportwege der Schmuggler jetzt zerstören.

Mindestens 150 Tunnel will die Armee in den vergangenen Wochen gesprengt haben. Aus Sicherheitsgründen, so heißt es, denn ägyptische Islamisten würden mit Unterstützung von gleichgesinnten Palästinensern ihren Kampf gegen die Armee ausfechten. Den ägyptischen Soldaten gelingt offenbar, woran Israel über Jahre gescheitert ist: Immer wieder bombardierte die israelische Luftwaffe die Tunnel, durch die auch Waffen in den Gazastreifen geschmuggelt wurden, trotzdem ließen sich die Tunnelbetreiber nicht in die Knie zwingen.

Handgranaten von der Hamas?

Seit dem Sturz des ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi, der aus der Muslimbruderschaft stammt, im Juli gerät die Hamas im Gazastreifen ins Visier der ägyptischen Armee. Die Hamas entstand einst als palästinensischer Ableger der ägyptischen Muslimbrüder. Die Behörden in Kairo behaupten, bei ägyptischen Regimegegnern Handgranaten mit der Aufschrift der „Al-Kassam-Brigaden“, dem bewaffneten Flügel der Hamas, gefunden zu haben.

Nie zuvor stand es um die Beziehungen zwischen Kairo und Gaza so düster: „Wir mischen uns in die ägyptischen Angelegenheiten nicht ein“, versichert Ghazi Hamad, amtierender Hamas-Außenminister in Gaza (siehe Interview). Die Berichte, dass Anhänger Mursis zum Kampftraining nach Gaza kämen, seien eine „Lüge“. Die Hamas fühlt sich zu Unrecht bestraft, wenn Kairo die für den Gazastreifen lebenswichtigen Tunnel zerstören lässt und den Grenzübergang für den Personenverkehr in Rafah schließt.

Teure Waren aus Israel

Ein Verbündeter nach dem anderen bricht der Hamas weg. Erst vor eineinhalb Jahren musste das Hamas-Politbüro das langjährige Exil in Syrien aufgeben. Das Letzte, was die palästinensischen Islamisten brauchen, ist ein Konflikt mit Ägypten. Unter Mursis Führung war zwar auch nicht alles perfekt, doch er sorgte für mehr oder weniger regelmäßige Öffnungszeiten an der Grenze. Und er ließ die Schmuggler weitgehend in Ruhe. Für die Menschen in Gaza wird die Zerstörung der Verbindungswege schon jetzt schmerzlich spürbar. Zwar liefert Israel dorthin sämtliche lebensnotwendigen Güter, doch die israelische Ware ist teuer. Öl und Benzin kosten gut doppelt so viel wie ägyptisches. Seit Tagen ist kaum noch Betrieb an den Tankstellen. Gerade einmal für 20Schekel (4,20Euro) tankt ein Motorradfahrer bei Mohammed Hamaida. Damit füllt er den Tank kaum zur Hälfte. „Wir beziehen unser Benzin aus Israel“, sagt der 60-jährige Tankwart aus Khan Younis, „aber das können sich nur wenige leisten“.

Mit Kühlschränken durch Tunnel

Hamaida schimpft auf die Hamas, die Steuern kassiert, und übersieht, dass die Steuern für Benzin nicht an die Hamas, sondern an die palästinensische Autonomiebehörde in Ramallah gezahlt werden. Das Geschäft mit dem Schmuggel lohnte sich für alle, auch wenn hundert Meter – manchmal noch mehr, wie Mohammed Kutkut berichtet – freigeschaufelt werden mussten. „Ich habe Kühlschränke und Waschmaschinen durch die Tunnel gebracht.“

Die beste Zeit für die Schmuggler war, als Israel hunderte Güterarten für den offiziellen Import untersagte. Auf internationalen Druck lockerte Jerusalem diese Schranken vor drei Jahren.

„Ägypten hat richtig entschieden“, befindet ausgerechnet Tunnelbauer Kutkut trotzdem. Die Haltung ist allerdings eher Ausdruck seines Zorns über die Betreiber der Tunnel denn Solidarität mit dem Regime in Kairo. Die meisten Röhren seien von Vertrauten der Hamas-Regierung gebaut worden. Oft hätten die Tunnelbetreiber mit der Bezahlung so lange warten wollen, bis die Wege in Betrieb waren. „Sie schulden mir über 10.000 Dollar“, schimpft der junge Mann, der „keinem von denen“ mehr trauen will.

„Gefährlich war es überall“

Kutkut weiß, wovon er spricht. Er war sieben Jahre dabei. Mit 16 musste er den Vater als Familienernährer ersetzen, der ob eines Bandscheibenvorfalls nicht mehr arbeiten konnte. Das Graben der Tunnel sei besser gewesen, als die Waren zu transportieren, sagt er. „Aber gefährlich war es überall.“ Er habe Freunde verloren, etwa, als ein Tunnel beim Bau einstürzte, ein andermal bei Bombardierungen durch Israel. Zwischen 70 und 100 Schekel (15 bis 21 Euro) brachte er an guten Tagen nach Hause. Manchmal aber auch nichts.

„Eine Tonne Zement kostete 340 Schekel (72 Euro), jetzt müssen wir über tausend dafür bezahlen“, sagt Sobhi Redwan, Bürgermeister von Rafah. Er sorgt sich um die Zukunft seiner Stadt. „Schon jetzt sind 60 Prozent ohne Arbeit.“

Wie viele Palästinenser im Tunnelgewerbe tätig waren, will der Bürgermeister nicht sagen. „Die Männer sind nicht registriert, denn die Tunnelarbeit ist illegal“, räumt er ein. Ginge es nach Redwan, würden die Schmugglertunnel endgültig der Vergangenheit angehören. „Wir wollen legal importieren“, sagt er. Ägypten müsse die Grenzen öffnen. Doch derzeit geschieht das Gegenteil: Seit mehr als einer Woche ist auch der Grenzübergang für den Personenverkehr von und nach Ägypten gesperrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.