Römisches Politdrama wendet sich gegen Berlusconi

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Premier Letta überstand Misstrauensvotum, sein Gegenspieler schlug eine Volte. Ein Drittel der Berlusconi-Fraktion rund um Innenminister Alfano könnte sich abspalten.

Wien/Rom. War dies nun eine Posse, eine politische Schmierenkomödie, ein Shakespeare-Drama oder eine antike Tragödie, was da im Palazzo Montecitorio und im Palazzo Madama, den Kammern des römischen Parlaments, über die Bühne ging? Die Italiener wussten es selbst nicht so genau, und die haben seit dem Mord an Gajus Julius Caesar an den Iden des März 44 vor Christus während einer Senatssitzung im Pompeius-Theater so manches politische Schauspiel erlebt.

Um Leben und Tod im wörtlichen Sinn ging es diesmal beim Misstrauensvotum gegen den Ministerpräsidenten nicht, aber um das Schicksal der Protagonisten des jüngsten Politdramas in Rom: Premier Enrico Letta und Ex-Premier Silvio Berlusconi, der die jüngste Regierungskrise heraufbeschwor, als er am Wochenende den Rücktritt der fünf Minister seiner Partei PdL anordnete. Angeblich, so kolportieren es italienische Medien, war er aufgebracht über eine richterliche Entscheidung in zweiter Instanz im Fall der Affäre um die minderjährige Ruby Rubacuori, die erst im November ansteht, die ihm jedoch schon jetzt hinterbracht worden sei.

Die EU-Kommission in Brüssel und die Finanzmärkte blickten am Mittwoch gebannt auf Rom. Letta war bereits am Wort, um im Senat in einer 45-minütigen Rede an die Staatsräson der Abgeordneten zu appellieren und das Bild der Instabilität im Jahr des EU-Vorsitzes 2014 als Menetekel an die Wand zu malen, als sein Gegenspieler samt Entourage den Saal betrat. Dies sei der Moment, „basta“ zu sagen, mahnte Letta.

Berlusconi zog derweil alle Register seiner Mimik. Er legte seinen Kopf von der einen auf die andere Seite, in einer flehentlichen Geste faltete er seine Hände wie zum Gebet. In einem Akt der Verzweiflung hielt er sie vor sein Antlitz, bedeckte seine Augen und erweckte so den Anschein, als würde er seine Tränen verbergen. Eine Parlamentarierin reichte ihm eilfertig ein Taschentuch, tröstend scharten sich die letzten Getreuen um ihn und führten ihn aus dem Plenum.

Denn für den Cavaliere ging es am Mittwoch auch darum, sein Gesicht zu wahren. Der Milliardär, der zuletzt nicht müde wurde, die vergangenen Monate als die schlimmsten seines Lebens zu bezeichnen und über den Sommer mit allen Tricks um sein politisches Überleben kämpfte, hatte das Misstrauensvotum gegen Letta angestrengt – offiziell, um den Protest gegen die Erhöhung der Mehrwertsteuer um einen Punkt auf 22 Prozent kundzutun. In Wahrheit strebt er jedoch Neuwahlen an, weil ihm der Rauswurf aus dem Senat droht. Am Freitag soll der Immunitätsausschuss der Parlamentskammer über die politische Zukunft des 77-Jährigen befinden. Der Kassationsgerichtshof hat ihn in letzter Instanz verurteilt, was die Verbannung aus dem Parlament und einen einjährigen Hausarrest oder – als Alternative dazu – einen Sozialdienst nach sich zieht.

Brutus und der Vatermord

Seit August hängt die Entscheidung in der Causa Berlusconi wie ein Damoklesschwert über einer Koalition, die erst seit fünf Monaten regiert – und von Beginn an ohnehin eine Koalition von Berlusconis Gnaden war. Der Ausbruch einer Regierungskrise war nur eine Frage der Zeit, und am Wochenende bemächtigte sie sich der politischen Klasse in Rom. Seit dem Auszug der fünf Berlusconi-Minister am Sonntag machten sich beide Seiten daran, eine Mehrheit zu sammeln. Premier Enrico Letta, aufgemuntert von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, zog seinen Onkel Gianni Letta ins Vertrauen, die graue Eminenz der Berlusconi-Partei Populo della Libertá (PdL) und ein Intimus des Partei-Zampanos.

Unterdessen zog Berlusconi in gewohnter Manier gegen Staatspräsident Giorgio Napolitano vom Leder, sah sich aber unversehens mit einer Palastrevolte konfrontiert. Ein Teil seiner Fraktion, die sich in „Tauben“ und „Falken“ aufspaltet, entschloss sich, ihm die Gefolgschaft beim Misstrauensvotum zu verweigern. Dass ausgerechnet sein „Kronprinz“ Angelino Alfano, der Parteichef und Lettas Innenminister und Vizekanzler, als Rädelsführer agierte, traf seinen Mentor tief. Sollte der 42-jährige Sizilianer den Brutus spielen? Berlusconi fühlte sich hintergangen. „Ich bin Opfer eines Vatermords“, sagte er entrüstet.

Mindestens 25 Abgeordnete verschworen sich gegen ihren Herrn und Meister, es kam zum Bruch. Über den Sommer schickte sich Berlusconi an, seine alte Bewegung Forza Italia wiederzubeleben. Jetzt kündigten Alfano und seine Mitstreiter an, eine eigene Fraktion nach dem Modell der Europäischen Volkspartei zu gründen – nach Medienberichten soll sie Nuova Italia heißen.

Ein Drittel der Fraktion könnte sich abspalten

Über 70 Parlamentarier, ein Drittel der Berlusconi-Mandatare, sind laut Medienberichten bereit, sich der neuen Fraktion um Alfano anzuschließen. Die "Dissidenten" beteiligten sich in der Nacht auf Donnerstag an Gesprächen, bei denen die künftige Strategie diskutiert wurde. Die Beschlüsse will Alfano heute bei einer Pressekonferenz bekannt geben. Die "Rebellen" wollen von den "Falken" in der Partei auf Distanz gehen, die Berlusconi überzeugt hatten, der Regierung Letta das Vertrauen zu entziehen. Wegen des Widerstands Alfanos und seiner Gefolgsleuten gegen eine Regierungskrise musste Berlusconi bei dem Vertrauensvotum im Senat einen Rückzieher machen und Premier Enrico Letta doch noch das Vertrauen aussprechen.

Berlusconi schwankte hin und her. Hinter seiner Maske schien der Parteiführer gezeichnet, mit einem Mal sah er sich auf der Seite der Verlierer, eine überraschende Volte machte die Runde. Und am Ende stimmte der, der die Regierungskrise überhaupt erst ausgelöst hatte, für den Premierminister – „nicht ohne innere Qual“, wie Berlusconi im staatsmännischen Gestus erklärte. Enrico Letta zeigte sich dagegen erleichtert, er nannte die Abstimmung „historisch für die italienische Demokratie“. Die Krise war abgewendet, Europa quittierte zufrieden den Ausgang des Politdramas. Um Silvio Berlusconi wird es hingegen einsam, das Ende seiner Ära dämmert wohl endgültig herauf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.10.2013)

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