Aserbaidschan: Der nervöse Autokrat von Baku

Alijew
Alijew(c) EPA (FILIP SINGER)
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Langzeitpräsident Alijew will sein Land als aufstrebende Macht darstellen. Im Inneren zieht er die Daumenschrauben an. An seiner Wiederwahl zweifelt niemand.

Wien/Baku. Wenig diplomatisch sind die Worte, mit denen der Intellektuelle und frühere aserbaidschanische Botschafter in Russland, Hikmet Hadjy-Zadeh, sein Land beschreibt: Es sei eine „Pseudodemokratie“, in der Präsident Ilham Alijew zwei Ziele verfolge: erstens, ein antidemokratisches Regime zu errichten, zweitens, dieses dem Westen als demokratisches Regime zu verkaufen.

Vor dem Antritt seiner voraussichtlich dritten Amtszeit – am nächsten Mittwoch finden in Aserbaidschan Präsidentenwahlen statt – bleibt festzuhalten, dass der seit einem Jahrzehnt im Amt befindliche Alijew auf dem besten Weg ist, seine demokratiepolitisch fragwürdigen Ziele zu erreichen. Keiner der neun Gegenkandidaten ist ein ernsthafter Herausforderer. Die traditionelle politische Opposition ist an den Rand gedrängt. Ihrem gemeinsamen Wunschkandidaten, dem in Moskau lebenden Filmemacher Rustam Ibragimbekov, wurde die Registrierung verweigert. Eine Wahl ohne Überraschungen also? Ja. Doch der Machtzirkel ist seit knapp zwei Jahren beunruhigt. Es war der Arabische Frühling, der die Autokraten aus ihrem gemütlichen Schlummer aufschrecken ließ. In Aserbaidschan, so die Vorgabe, dürfe es nicht so weit kommen.

Der rohstoffreiche Staat am Kaspischen Meer reibt sich seit geraumer Zeit an einem Widerspruch auf: Nach außen versucht sich die Ex-Sowjetrepublik als aufstrebender und originärer politischer Player zu vermarkten, als Schwergewicht im Energiegeschäft, als Austragungsort von Großereignissen wie dem Eurovision Song Contest 2012 oder dem Sportevent European Games 2015. Die stille Zustimmung der Bevölkerung erkaufte man sich bisher durch Geldgeschenke aus den Öl- und Gaseinnahmen. Mehr Teilhabe am Machtmonopol steht für Alijew und seinen Kreis außer Diskussion. Die Minderheit der Bürger, die sich dem von oben diktierten Arrangement nicht beugen will, muss mit Repression rechnen. Doch je mehr das Land international im Rampenlicht steht, desto schwieriger wird es, rechtsstaatliche und menschenrechtliche Missstände zu verschweigen. Das musste Baku im Vorjahr beim Schlagerwettbewerb erleben, als Reporter nicht nur über Gesang und Glamour berichteten, sondern auch über Zwangsumsiedlungen und das teure Redesign der Stadt. „Man versteht nicht, dass mehr Sichtbarkeit auch mehr kritische Aufmerksamkeit bedeutet“, sagt Giorgi Gogia von Human Rights Watch (HRW). Laut HRW sind Meinungs- und Versammlungsfreiheit in den vergangenen zwei Jahren weiter eingeschränkt worden. „Verleumdung“ wird nun auch im Internet verfolgt. Seit 2006 ließen die Behörden in Bakus Zentrum keine angemeldeten Demonstrationen mehr zu. Die Registrierung von unabhängigen Vereinen und Veranstaltungen ist bürokratischer Großaufwand.

Geständnisse unter Zwang

Auch gegen Oppositionelle und kritische Journalisten geht der Staat vor. Laut dem Bakuer „Menschenrechtsklub“ sind derzeit 142 Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und Religiöse aus politischen Gründen in Haft. Häufig wird den Betroffenen Drogenbesitz vorgeworfen; Oppositionelle sprechen von untergeschobenen Beweisstücken oder erzwungenen Geständnissen. Der Journalist Hilal Mammadow, Herausgeber einer Minderheitenzeitung, wurde vor wenigen Tagen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt. In der Wohnung des studierten Mathematikers fand die Polizei illegale Substanzen: Heroin.

Die investigative, für ausländische Medien tätige Reporterin Khadija Ismayil wird seit März 2012 mit der Veröffentlichung geheim aufgenommener intimer Videos unter Druck gesetzt („Die Presse“ berichtete). Ismayil berichtete trotzdem weiter über unsaubere Geschäfte des Präsidentenclans. Im August veröffentlichte die regierungsnahe Zeitung „Ses“ schließlich einen Artikel mit dem infamen Titel „Khadijas armenische Mutter soll sterben“. Darin wurde eine armenische Abstammung Ismayils nahegelegt. In Aserbaidschan, dessen Waffenstillstand mit Armenien brüchig ist, hat das Anklänge von Feindschaft und Verrat. „Diese Artikel sollen mich zum Schweigen bringen“, sagt Ismayil. „Aber ich werde weiterhin meine journalistische Arbeit machen.“ Gogia spricht von einem „hohen Sicherheitsrisiko“ für Ismayil.

„All das sind keine isolierten Vorfälle, sondern eine konzertierte Anstrengung der Regierung, um kritische Stimmen im Land zum Schweigen zu bringen“, sagt der HRW-Experte. Doch das Anziehen der Daumenschrauben birgt Gefahren: Legale Meinungsäußerung wird so gut wie unmöglich, die Frustration unter den Jungen steigt. Schon ein kleiner Vorfall kann sich zu einem Flächenbrand entwickeln: In der Stadt Ismaili kam es zu Jahresbeginn zu mehrtägigen Unruhen, nachdem der Sohn des Bürgermeisters einen von ihm verschuldeten Autounfall auf einen anderen abwälzen wollte.

Für das Regime wird es immer schwieriger, die Stimmung in der Bürgerschaft zu messen. So mag Aserbaidschan von außen wie der stabile Partner wirken, als der sich das Land international zu positionieren sucht. Wie es in seinem Inneren aussieht, davon hat auch die Elite nur eine diffuse Vorstellung. Genau das macht sie nervös.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2013)

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