US-Budgetstreit: Aufstand der Tea-Party-Generation

John Boehner ist formal der mächtigste Republikaner im Kongress. Faktisch ist er in Geiselhaft des rechten Rands seiner Partei. Für sie ist „Kompromiss“ ein Schimpfwort.

Washington. Die Chefin des Internationalen Währungsfonds. Die amerikanischen Industrieverbände. Sogar Grover Norquist, der Anführer der republikanischen Steuersenkungsguerilla. Sie alle appellieren an John Boehner, den Sprecher des Abgeordnetenhauses im Kongress, den Shutdown zu beenden und ein Budget zu beschließen.

Die nötigen Stimmen dazu hätte Boehner. Mindestens 19 republikanische Abgeordnete haben öffentlich erklärt, einem solchen Budget zustimmen zu wollen, ohne die Verschiebung der Krankenversicherungsreform (vulgo „Obamacare“) zur Bedingung dafür zu machen. Mit den 200 demokratischen Repräsentanten wären das 219 und somit die Mehrheit der 433 Stimmen in dieser Kongresskammer.

115 neue Republikaner seit 2010

Amerika hätte nach drei Tagen der teilweisen Sperrung der Bundesregierung wieder ein Budget. Die Gefahr einer neuer amerikanischer Rezession wäre abgewendet. Ebenso die Gefahr, dass die Weltwirtschaft umkippt, wenn der Kongress bis 17.Oktober nicht die Obergrenze für neue Schulden erhöht und damit die Solvenz der Regierung der größten Volkswirtschaft der Welt garantiert.

Doch Boehner lässt so eine Abstimmung nicht zu. Denn der 63-Jährige aus Ohio kämpft um sein politisches Überleben. Im 23.Jahr seiner Kongresskarriere stehend verkörpert er alles, was die neue Generation an republikanischen Abgeordneten verachtet. Bei den jüngsten beiden Kongresswahlen in den Jahren 2010 und 2012 kamen 115 neue Republikaner ins Abgeordnetenhaus. So gut wie jeder von ihnen ist Kandidat der Tea-Party-Bewegung. Für diese unerfahrenen Politiker sind Kompromisse – noch dazu mit dem politischen Gegner – eine Sünde.

Schon einmal hätten diese Hitzköpfe den Faden, an dem Boehners Karriere hängt, beinahe durchschnitten. Am Neujahrstag legte er einen Gesetzesvorschlag zur Abstimmung vor, mit dem eine Rezession Amerikas abgewendet wurde. Von 257 Ja-Stimmen kamen nur 85 von Republikanern.

Wer sich bewegt, verliert

Ein paar Wochen später ermöglichte Boehner eine weitere überparteiliche Abstimmung. Die Hilfsgelder für die Opfer des Wirbelsturms Sandy erhielten nur 49 republikanische Ja-Stimmen. Und als er die Verlängerung eines Gesetzes zum Schutz von vergewaltigten und misshandelten Frauen abstimmen ließ, war das Fass für die Tea-Party-Mandatare voll. Sie drohten Boehner damit, ihn als Sprecher des „House“ abzuschießen.

Der Shutdown erscheint ihnen als die letzte realistische Möglichkeit, „Obamacare“ zu blockieren. Wenn Boehner hier nachgibt, bliebe ihnen nur mehr die Schuldengrenze als Druckmittel. Die Aussicht darauf, Amerika mit einer Abstimmungsblockade in den Staatsbankrott zu treiben, ist aber selbst für die Tea-Party-Patrioten zu bedrohlich.

Das verhärtet in der Frage des Shutdown die Fronten. Und es erklärt, wieso Boehner all dem hilflos zusehen muss. Denn was sie wollen, ist nicht allen Tea-Party-Rebellen klar: „Wir müssen etwas in dieser Sache bekommen. Und ich weiß nicht einmal, was das ist“, sagte der Kongressabgeordnete Marlin Stutzman zum „Washington Examiner“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.