Libyen: Wo die Macht des Premiers im Hotel endet

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Libyen. (c) REUTERS (ISMAIL ZITOUNY)
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Bewaffnete verschleppten Regierungschef Ali Zeidan und hielten ihn stundenlang fest. Der Vorfall ist symptomatisch für die chaotische Lage zwei Jahre nach Gaddafis Sturz.

Am Donnerstagnachmittag erschien Libyens Premier Ali Zeidan endlich in seinem Büro in der Hauptstadt Tripolis. Mit einigen Stunden Verspätung. Denn dieser Tag hatte so ganz anders begonnen, als es der Regierungschef erwartet hatte. „Libyen ist ein sicheres Land“, beteuerte Zeidan am Nachmittag in einer eilig einberufenen Pressekonferenz. Ein Satz, der irgendwie bizarr klang. Denn der Regierungschef war erst kurz zuvor aus mehrstündiger Geiselhaft befreit worden. Am frühen Donnerstagmorgen waren zahlreiche Bewaffnete beim Corinthia Hotel vorgefahren, das eigentlich als eines der sichersten Orte in Tripolis gilt.

In dem teuren Hotelkomplex residieren internationale Geschäftsleute, Diplomaten und Vertreter der libyschen Regierung – so auch der Premierminister. Die Bewaffneten nahmen Ali Zeidan gefangen, verfrachteten ihn in einen Wagen und brausten mit ihrem Konvoi davon. Dann begannen die Spekulationen: War der Premier entführt oder verhaftet worden? Und wer genau hielt ihn fest?

Zunächst hieß es, Milizionäre hätten Zeidan als Geisel genommen, um gegen die Verhaftung des al-Qaida-Mannes Anas al-Liby durch die USA vor einigen Tagen zu protestieren. Eine Gruppe mit Namen Operationszentrale der libyschen Revolutionäre bekannte sich zur Aktion. Dann hieß es, die Milizionäre hätten den Premier im Auftrag der libyschen Justiz verhaftet – wegen einer Korruptionssache. Doch wenig später stellte das libysche Justizministerium klar, dass kein Haftbefehl gegen den Regierungschef vorliege. Nach einigen Stunden kam Zeidan wieder frei – offenbar mithilfe von Kämpfern einer anderen Miliz. Die Aktionen dürften unblutig verlaufen sein.

Die Macht der Milizen

Die unglaubliche Entführung des Ali Zeidan ist symptomatisch für die chaotische Lage in Libyen zwei Jahre nach dem Sturz des Langzeitdiktators Muammar al-Gaddafi. Als Gaddafi am 20. Oktober 2011 von Rebellen außerhalb seines letzten Zufluchtsortes Sirte entdeckt und getötet wurde, feierten viele die Geburtsstunde eines neuen Libyen. Seither wurden verhältnismäßig demokratische Wahlen abgehalten. Medien dürfen erstmals ganz offen Politiker kritisieren. Und wer auf der Straße über die Regierung schimpft, verschwindet nicht sofort im Gefängnis. Zu Stabilität hat Libyen trotzdem nicht gefunden.

Der Kampf gegen das Gaddafi-Regime wurde von einer Vielzahl von Rebellenmilizen geführt, die offiziell unter dem Dach der Nationalen Armee operierten. Doch die Kommandostrukturen waren lose. Jede Miliz tat de facto, was sie für richtig hielt. Die Kämpfer waren meist nur ihrem direkten Vorgesetzten verpflichtet. Dass das zu Problemen führen würde, zeigte sich bereits unmittelbar nach der Vertreibung des Regimes aus Tripolis im Sommer 2011. Rebellengruppen aus allen Teilen Libyens waren in die Hauptstadt einmarschiert. Appelle hoher Offiziere der Nationalen Armee an die Kommandanten der Milizen, bei nächtlichen Siegesfeiern auf das Abfeuern schwerer Maschinengewehre zu verzichten, stießen auf taube Ohren. Immer wieder kam es zu Streitereien zwischen Rebellengruppen, etwa um die Kontrolle wichtiger Kreuzungen – Meinungsverschiedenheiten, die auch mit Kalaschnikows ausgetragen wurden.

Angriffe auf Regierungsgebäude

In den folgenden Jahren wurde versucht, die Milizen zu entwaffnen oder in die offiziellen Sicherheitsstrukturen einzugliedern, mit wechselndem Erfolg. Nach wie vor geschieht es, dass Veteranen bei Demonstrationen mit Panzerabwehrrohren auf Regierungsgebäude schießen. Und die Gruppe, die am Donnerstag den Regierungschef festgehalten hat, steht nach ersten Erkenntnissen eigentlich im Dienst des Innenministeriums.

Die zentralen Behörden sind schwach. So sollte sich Gaddafis Sohn Saif al-Islam derzeit in der Hauptstadt vor Gericht verantworten. Doch die Rebellen der Kleinstadt Zintan, die Saif 2011 gefasst haben, weigern sich nach wie vor, ihre „Beute“ an Tripolis zu übergeben. Neben der Hauptstadt gibt es noch andere Machtzentren wie die Hafenstadt Misrata oder Bengasi im Osten des Landes.

Premier Zeidan ist demokratisch legitimierter Regierungschef des neuen Libyen. Doch seine Macht reicht oft nicht weit. Am Donnerstag nicht einmal bis außerhalb seines Zimmers im Corinthia Hotel.

AUF EINEN BLICK

Im Oktober 2011 wurde Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi von Rebellen getötet. Damit ging ein achtmonatiger Aufstand gegen das Regime zu Ende. In den Jahren danach versuchten Übergangsgremien das nordafrikanische Land zu Stabilität zu führen. Ein wichtiger Punkt dabei ist die Demobilisierung der zahlreichen Milizen, die im Bürgerkrieg gegen Gaddafi gekämpft haben. Das ist nach wie vor nicht gelungen. Im Juli 2012 fanden erstmals weitgehend demokratische Wahlen statt. Der neue Nationalkongress ernannte Ali Zeidan zum Regierungschef.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2013)

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