Die dunkle Seite des Drohnenkriegs

(c) EPA (Us Air Force)
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Bei Drohnenangriffen gegen mutmaßliche Terroristen kommen mehr Zivilisten um, als Washington bisher zugegeben hat. Amnesty spricht nun von möglichen "Kriegsverbrechen".

Es war ein sonniger Nachmittag am 24. Oktober 2012, als Manama Bibi gerade Gemüse auf ihrem Feld im Dorf Ghundi Kala im Nordwesten Pakistans erntete. Plötzlich schossen zwei Hellfire-Raketen vom Himmel, abgefeuert von einer US-Kampfdrohne – einem unbemannten Flugkörper, der über dem Dorf seine Kreise zog. Manama Bibi wurde beim Einschlag der Raketen in Stücke gerissen – vor den Augen ihrer Verwandten. „Wir gingen zu dem Platz, an dem unsere Großmutter gearbeitet hatte. Dort sah ich ihre Schuhe. Erst später fanden wir ihren verstümmelten Körper“, schildert Nabeela, Manama Bibis achtjährige Enkelin. Der Torso der getöteten 68-Jährigen war durch die Gegend geschleudert und zerfetzt worden. Die schockierten Enkelkinder sammelten über das Feld verstreute Leichenteile ihrer Großmutter ein. Die achtjährige Nabeela und die anderen hatten bei dem Angriff selbst Splitterverletzungen an Armen oder Beinen erlitten.

Manama Bibi ist eines der zahlreichen zivilen Opfer, die der US-Drohnenkrieg gegen al-Qaida und andere militante Gruppen in den vergangenen Jahren in Pakistan, Afghanistan, dem Jemen und Somalia gefordert hat. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat nun den Fall der 68-jährigen pakistanischen Frau publik gemacht – in einem neuen Bericht, der gestern, Dienstag, veröffentlicht wurde. Amnesty hat mit Ermittlern vor Ort neun der 45 US-Drohnenangriffe untersucht, die zwischen Jänner 2012 und August 2013 in Nord-Waziristan durchgeführt worden sind.

Taliban und US-Attacken

Nord-Waziristan gehört zu Pakistans sogenannten „Stammesgebieten“ an der Grenze zu Afghanistan – einer der weltweit gefährlichsten Gegenden. Die pakistanische Regierung besitzt in diesen Gebieten kaum Einfluss. Die örtliche Bevölkerung leidet unter den Taliban und anderen Extremisten, die hier ihr Unwesen treiben. Dazu kommen Operationen der pakistanischen Armee und die ständigen Attacken der USA mit den unbemannten Flugkörpern.

Amnesty International schreibt im neuen Bericht, es sei schwierig, eine endgültige – juristische – Bewertung des Falls von Manama Bibi vorzunehmen. Denn die US-Regierung weigere sich, Informationen über die Hintergründe einzelner Drohnenangriffe zu geben. Die Menschenrechtsorganisation stellt aber auch klar, dass es sich bei einer Reihe von Attacken um gesetzwidrige Tötungen handle, die „außergerichtliche Exekutionen“ oder sogar Kriegsverbrechen darstellen könnten.

UNO verlangt Aufklärung

Amnesty verlangt von der US-Regierung, gegen die Verantwortlichen etwaiger Kriegsverbrechen im Zug des Drohnenkrieges gerichtlich vorzugehen, die Opfer zu entschädigen und unabhängige Untersuchungen zu ermöglichen.

Aufklärung von den USA über die Angriffe mit unbemannten Flugkörpern hat erst vor einigen Tagen auch der UN-Sonderberichterstatter zum Schutz von Menschenrechten, Ben Emmerson, gefordert. Washington müsse die geheim gehaltenen Zahlen über zivile Opfer offenlegen, so Emmerson. Seit 2004 seien in Pakistan bei Drohnenattacken 400 Zivilisten umgekommen und 200 weitere „Nichtkombattanten“ – also Feinde, die nicht direkt zur Teilnahme an den Kämpfen bestimmt sind, schreibt Emmerson in einem Bericht an die UN-Vollversammlung und bezieht sich dabei auf Zahlen der pakistanischen Regierung.

Das „Bureau of Investigative Journalism“ (TBIJ) in London geht davon aus, dass von 2004 bis 2013 durch Drohnenangriffe in Pakistan 2629 bis 3461 Menschen umgekommen sind, im Jemen bis zu 1112 und in Somalia bis zu 170. Der Großteil dieser Einsätze wurde während der Präsidentschaft Barack Obamas durchgeführt – allein 310 in Pakistan, sechsmal so viele wie unter Vorgänger George W. Bush. Das verwundert nicht, denn der Drohnenkrieg ist ein wichtiger Teil von Obamas Antiterrorstrategie: Die Ära Bush, in der die USA ganze Armeen in andere Länder geschickt haben, ist vorbei. Nun sollen Terrorverdächtige – weitgehend unbemerkt von der US-Öffentlichkeit – getötet werden, ohne dabei das Leben amerikanischer Soldaten zu gefährden. Das ist eine Art von Kampf, die US-Bürger nach den traumatischen Erfahrungen im Irak und in Afghanistan noch zu akzeptieren bereit sind.

Krieg aus sicherer Entfernung

Die Männer und Frauen, die bei diesen Einsätzen den Auslöser für die Hellfire-Raketen der „Predator“- oder „Reaper“-Drohnen betätigen, sitzen in einem sicheren Militärstützpunkt – in der Nähe des Einsatzgebietes oder tausende Kilometer entfernt in einem Kontrollraum in den USA. Der Soldat, der die Raketen auf die 68-jährige Manama Bibi abfeuerte, fuhr möglicherweise nach Dienstschluss nach Hause zu seiner Familie – genau zu dem Zeitpunkt, zu dem im weit entfernten Pakistan die achtjährige Nabeela und die anderen am Leichnam der getöteten Großmutter trauerten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2013)

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