Der Anfang vom Ende der Ära Cristina Kirchner

Sergio Massa gewinnt Einfluss in der peronistischen Partei von Präsidentin Cristina Kirchner - im Hintergrund am Wahlplakat rechts zu sehen.
Sergio Massa gewinnt Einfluss in der peronistischen Partei von Präsidentin Cristina Kirchner - im Hintergrund am Wahlplakat rechts zu sehen.(c) REUTERS
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Bei der Parlamentswahl am Sonntag bringen sich die möglichen Nachfolger der erkrankten Präsidentin in Stellung.

Buenos Aires. Wird sie oder wird sie nicht? Wird Argentiniens Präsidentin, Cristina Fernández de Kirchner, ihre postoperative Ruhepause unterbrechen und ein paar Worte an ihr Volk richten, ehe dieses am Sonntag an die Urnen geht? Oder zieht sie es vor, wie von ihren Ärzten und wohl manchem Imageberater empfohlen, unsichtbar zu bleiben, bis die Ergebnisse der Parlamentswahl verdaut sein werden?

Das ist derzeit die große Frage im politischen Buenos Aires, auch wenn über die am 8.Oktober am Kopf operierte Präsidentin gar nicht direkt abgestimmt wird. Am Sonntag geht es formell um die Besetzung der Hälfte der Kongressmandate, 127 an der Zahl, sowie um 24 Senatssitze, das ist ein Drittel der Posten in der zweiten Kammer. Für Kirchners „Siegesfront“ geht es theoretisch noch darum, ihr miserables Ergebnis von 2009 deutlich zu verbessern, um so in die Nähe einer Zweidrittelmehrheit zu kommen. Und die Opposition hatte sich zunächst vorgenommen, ebendas zu verhindern, denn eine Zweidrittelmehrheit gäbe der Regierung die Möglichkeit, die Verfassung zu ändern und die auf zwei konsekutive Amtszeiten beschränkte Präsidentschaft unbegrenzt zu verlängern.

Doch dieses Szenario scheint überholt, seitdem die Argentinier am 11.August erstmals zu verpflichtenden Parlaments-Vorwahlen gerufen wurden. Dort erlebte der Kirchner-Klub eine Schlappe und musste sich mit landesweit knapp 27Prozent zufriedengeben. Seither schwebt der Terminus „fin de ciclo“ durch die Pampa. Tout Buenos Aires, von Talk-Hosts bis zum Taxifahrer, spekuliert, was und wer auf dieses angekündigte „Ende des Zyklus“ Kirchner folgen wird.

Kirchners Angst vor Rivalen

Vor allem darum geht es bei dieser Wahl. Es geht um Argentinien ab 2015, um die möglichen Nachfolger einer Präsidentin, die während ihrer gesamten Amtszeit peinlich darauf achtete, jedwede Ambitionen ihrer Hintersassen schon im Keim zu ersticken. Wie jene des Gouverneurs der Provinz Buenos Aires, Daniel Scioli, der so unklug war, schon kurz nach Kirchners 54-Prozent-Triumph 2011 sachte den Finger zu heben. Sciolis Provinz, die mit 15,9 Millionen Einwohnern größte der 24 argentinischen Provinzen, bekam die dringend benötigten Finanzzuweisungen gekürzt und wurde von der Bildregie des Staats-TV systematisch ausgeblendet, was dessen Beliebtheit erstaunlicherweise nicht geschadet hat. Der ehemalige Rennboot-Champion, dessen Markenzeichen Optimismus, Ideologieabstinenz und eine immer freundliche Unverbindlichkeit sind, ist heute der mit Abstand beliebteste Politiker der „Siegesfront“ weit vor der Präsidentin.

Kirchner konnte angesichts sinkender Umfragewerte nicht anders und holte Scioli zurück ins Rampenlicht, was dieser – obwohl selbst kein Kandidat – mit dauernden Wahlkampfevents samt Treueschwüren voll schwerstem Peronistenpathos vergalt. Damit hofft Scioli offenbar, auch das linke Kirchner-Gefolge einzufangen, das ihm zwei Jahre lang tonnenweise Unflat an den Kopf geworfen hatte. Der Grund für die politische Wiederbelebung des Gouverneurs heißt Sergio Massa. Der 41-jährige Jurist ist seit Juni zugleich Enfant terrible und Zukunftshoffnung des Peronismus. Seitdem der aktuelle Bürgermeister des Vorstadtdistrikts Tigre Ende Juni die Gründung einer eigenen „Erneuerungsfront“ innerhalb der peronistischen Partei bekannt gab, hat Cristina Kirchner den Taktstock des politischen Agenda-Settings verloren.

Kampf gegen Ex-Kabinettschef

Massa, der in jungen Jahren als Leiter von Argentiniens Rentenkasse bewirkte, dass heute 94Prozent der älteren Argentinier eine staatliche Rente beziehen können, und der 2008 und 2009 Cristina Kirchner als Kabinettschef diente, errang in den Vorwahlen in der Provinz Buenos Aires knapp sieben Prozentpunkte vor dem Regierungskandidaten. Dem Einsatz von Daniel Scioli ist es wohl zu danken, dass Massas Vorsprung nicht zweistellig wurde, wie es sich vor der Rückholung des Gouverneurs abgezeichnet hatte. Nun liegt Massas Gruppierung in Umfragen mit 41,2 Prozent etwa acht Zählerpunkte vor der „Siegesfront“. Auch wenn es formell nur um Abgeordnetenmandate geht, wird der Abstand Massas als Wegmarke gesehen.

Sollte dieser Abstand deutlich werden, darf damit gerechnet werden, dass manch Abgeordneter, der heute noch für Kirchners „Siegesfront“ stimmt, sich künftig der „Erneuerungsfront“ anschließt.

In Massas Mannschaft marschieren schon jetzt zwei Ex-Wirtschaftsminister, ein Ex-Zentralbank-Chef, der langjährige Kopf der Industriellenvereinigung, ein Gewerkschaftsboss und der fähigste Strippenzieher des Landes: Néstor Kirchners Kabinettschef Alberto Fernández. Alles geschasste Weggefährten der großen Abwesenden dieser Tage. Es gehe ihr gut, gab Kirchners Sprecher am Donnerstag bekannt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.10.2013)

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