Hitziger Atomkrimi in Genf

Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif am dritten Tag der Verhandlungen in Genf.
Der iranische Außenminister Mohammad Javad Zarif am dritten Tag der Verhandlungen in Genf.REUTERS
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In den vergangenen drei Tagen haben Iraner und Amerikaner mehr miteinander geredet als zuvor in drei Jahrzehnten. Eine Lösung des Atomstreits lässt dennoch weiter auf sich warten: Frankreich steht auf der Bremse.

In sichtlich guter Stimmung sitzen sich US-Außenminister John Kerry und sein iranischer Amtskollege Mohammed Dschwad Sarif am Konferenztisch gegenüber. Zwischen ihnen am Kopfende eine zufrieden lächelnde Lady Cathrine Ashton, EU-Außenbeauftragte und Verhandlungsführerin. Auf dem Tisch: nur Wasser, mit und ohne Kohlensäure. Im Hintergrund eine Espressomaschine für die langen Verhandlungsstunden. Das Foto aus den Tagungsräumen des Hotels Intercontinental in Genf, wo so hochrangig wie noch nie zuvor über eine Lösung des Nuklearkonflikts mit dem Iran verhandelt wird, hat Ashtons Sprecher Michael Mann am Samstag über Twitter verbreitet. Auch seinen Stellungnahmen ist die steigende Spannung anzumerken.

Denn in den vergangenen zehn Jahren wurde oft und viel verhandelt. Meist ging es bestenfalls einige Millimeter voran. Doch nun hat sich innerhalb kürzester Zeit eine bisher unbekannte Dynamik entwickelt – der Funke ist übergesprungen. Schon am Freitag eilten die beteiligten Außenminister nach Genf. Mit dem Iran verhandelt die sogenannte 5+1-Gruppe, die aus den fünf ständigen Mitgliedern des UNO-Sicherheitsrates – den USA, Russland, Frankreich, Großbritannien und China – plus Deutschland besteht.

Spitzentreffen. Kerry kürzte prompt seine Nahost-Reise ab: „Es gibt Differenzen, die ausgeräumt werden müssen.“ Der noch amtierende deutsche Außenminister Guido Westerwelle sowie seine Amtskollegen, der Brite William Hague und Frankreichs Laurent Fabius, jetteten ebenfalls in die Schweiz. Am Samstag flog sogar der russische Außenminister Sergej Lawrow ein.

Alle Delegationen berichteten am Samstag von einer völlig veränderten Atmosphäre, einer neuen Offenheit und dem Willen auf allen Seiten, das Problem zu lösen. Die größte Veränderung ist die atemberaubend schnelle Annäherung zwischen dem Iran und den USA. Am Freitagabend sprachen Kerry und Sarif unter Ashtons Aufsicht fünf Stunden miteinander. In den vergangenen Tagen haben die Erzfeinde USA und Iran mehr geredet als in den vergangenen drei Jahrzehnten.

Auf dem Tisch liegt der Vorschlag, einen Teil der Milliarden, die der Iran auf internationalen Konten deponiert hat, wieder freizugeben. Im Gegenzug soll Teheran seine Urananreicherung auf 20 Prozent einstellen und der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) uneingeschränkten Zugang zu allen Anlagen gewähren. Eine solche Vereinbarung wäre eine Übergangslösung, um innerhalb eines halben Jahres eine dauerhafte Vereinbarung auszuhandeln.

Reaktor in Arak. Doch Fabius bremste: „Es gibt einige Punkte, mit denen wir nicht zufrieden sind“, erklärte er. Paris reicht die Suspendierung der Urananreicherung auf 20 Prozent nicht. Denn der Iran hat bereits eine große Menge Uran angereichert. Was soll mit diesen Vorräten in der Übergangszeit geschehen? Der Schritt von 20 Prozent Anreicherung bis zu waffenfähigen 90 Prozent ist nur klein.

Im Mittelpunkt des Streits steht aber vor allem der Schwerwasserreaktor in Arak, der kommenden Sommer fertiggestellt werden soll. Frankreich verlangt, dass in Arak sämtliche Arbeiten eingestellt werden. Die Sorge der Franzosen ist nicht unbegründet: Ein Schwerwasserreaktor produziert sechs bis acht Kilo waffenfähiges Plutonium im Jahr. „So ein Reaktor wurde in Indien genutzt, um Plutonium für die erste Atomwaffe zu produzieren“, sagte Olli Heinonen, bis 2005 Vizedirektor der IAEA, der „Presse am Sonntag“. „Und Pakistan hat zwei von ihnen am Laufen, und zwei sind aus demselben Grund im Bau.“

Ist Arak erst einmal in Betrieb, wäre eine militärische Lösung sehr schwierig, weil die Beschädigung eines Schwerwassereaktors aufgrund der höheren Strahlung katastrophale Umweltschäden anrichten würde. Die Dynamik der Gespräche in Genf erkläre sich auch daraus, so Heinonen. Wegen der bevorstehenden Fertigstellung und der großen Mengen an angereichertem Uran, das der Iran bereits besitzt, sei auch für den Westen eine Konfliktlösung dringlich geworden. Noch am Samstagnachmittag meldete sich Zarif aus Genf zu Wort: Sollte bei diesem Anlauf keine Lösung im Atomstreit gefunden werden, könnten die Gespräche in zehn Tagen weitergehen.

Alarmglocken in Israel.
In Israel läuten jedoch aufgrund einer bevorstehenden diplomatischen Lösung alle Alarmglocken. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu fühlt sich angesichts der US-Haltung an der Nase herumgeführt, ließ er in israelischen Medien durchsickern. Nach Gesprächen mit Kerry am Freitag sagte er, Israel sei „vollkommen“ gegen einen Deal. Es sei ein schwerwiegender Fehler, die Sanktionen aufzuheben, während die nukleare Infrastruktur des Iran noch intakt sei. „Israel ist an diese Vereinbarung nicht gebunden und wird alles tun, um sich und seine Bevölkerung zu schützen.“ Die Botschaft ist deutlich. Ein Militärschlag ist bei aller Euphorie in Genf noch nicht vom Tisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2013)

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