Auch Selbstvertrauen muss gelehrt werden

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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In Englands Schulen werden Kinder mit Migrationshintergrund in eigenen Sprachklassen individuell gefördert. So soll ihnen der Einstieg in den Schulalltag erleichtert werden. Ein Lokalaugenschein.

Woher kommt Licht? Und warum können wir den Mond von der Erde aus sehen?“, fragt Hannah, Lehrerin für Englisch als Zweitsprache, die elf vor ihr sitzenden Schüler. Die Mädchen zögern ein wenig, während einige Buben schon entschlossen die Hand in die Luft strecken. „Von der Sonne. Und der Mond reflektiert ihr Licht zur Erde zurück“, antwortet der in Deutschland geborene Humayyun mit pakistanischen Wurzeln schnell auf Englisch.

Der Zwölfjährige sitzt im Unterrichtsfach Englisch für die Wissenschaft an der Abraham-Moss-Gesamtschule in Manchester. Erster Eindruck: ein gewöhnlicher Unterricht. Doch trotzdem ist etwas an dieser Stunde besonders: Die Schüler in dieser Klasse besuchen eine Englischstunde eines eigens eingeführten Departments für Kinder mit Englisch als Zweitsprache.

Etwa 90 Schulanfänger mit geringen Grundkenntnissen der englischen Sprache besuchen den Unterricht des EMA-Departments (Ethnic Minority Achievement). Es ist das größte derartige Department in Manchester. Ausgebaut wurde es mithilfe der jährlich von der englischen Regierung zur Verfügung gestellten Finanzmittel. Mittlerweile zählt es zum festen Bestandteil des Schulsystems in England. „Mit acht Lehrern und sechs zweisprachigen Unterrichtsassistentinnen bieten wir den Schülern bestmögliche Unterstützung, dem Normalschulstundenplan so bald wie möglich zu folgen“, sagt die gebürtige Österreicherin und stellvertretende EMA-Koordinatorin Sylvia Torr der Gesamtschule Abraham Moss.

Bevor die Schüler den Schulalltag antreten, wird jeder individuell in den vier Grundfertigkeiten Lesen, Hören, Sprechen und Schreiben getestet. Ihrem Niveau entsprechend wird dann ein individueller Stundenplan erstellt. Vollkommene Sprachanfänger besuchen circa 50 Prozent des Normalunterrichts und 50 Prozent des Unterrichts für ethnische Minderheiten. Im Regelunterricht werden sie vor allem aus Nebenfächern wie Geschichte, Geografie oder Religion herausgenommen – primär also aus Fächern, in denen der „Sprechanteil“ anfangs zu hoch ist.

Rasche Fortschritte. Neben dem Englischunterricht für Wissenschaft wird Englisch für Geografie, Geschichte und auch für Mathematik unterrichtet, um die Schüler mit den Fachtermini im Englischen vertraut zu machen. Je nach Sprachniveau und Schulstufe sind zwischen zehn und 15 Schüler in einer Schulstunde des EMA-Departments. Falls es ausschließlich um das Selbstvertrauen und die Aussprache im Englischen geht, sind nur bis zu fünf Kinder im Unterricht. „Uns ist wichtig, dass der Schüler Selbstbewusstsein in der neuen Sprache gewinnt. So kann ein Fortschritt schneller sichtbar werden“, so Torr.

Neben Humayyun sitzt Amino. Sie wirkt aufmerksam. Erst seit einem Monat ist sie an der Schule. Anfangs sehr schüchtern und etwas verschreckt, meldet sich die gebürtige Somalierin nun schon, um auf dem interaktiven Whiteboard die Objekte, die Licht kennzeichnen, anzukreuzen.

„Je nach Fortschritt geht der Schüler in den Normalunterricht zurück. Nicht nur unser Department, sondern jeder Lehrer hat die Pflicht, den Unterricht zu differenzieren“, sagt Torr. „Kinder lernen schneller, wenn sie mit Gleichaltrigen im Klassenraum sind.“ Nicht länger als ein Jahr sollte der neue Schüler dem Normalunterricht fernbleiben.

Der Ablauf des Unterrichts ist genau geregelt: Alle Lehrer am EMA-Department empfangen ihre Schüler jede Stunde beim Eingang in das Klassenzimmer. „Wichtiger Bestandteil des Erfolgsprozesses ist, dass sich der Schüler vor allem in den ersten Monaten wohlfühlt. Viel Wert wird deshalb auf die persönliche Begrüßung in jeder Stunde gelegt.“ Bei Bedarf wird zusätzlich ein zweisprachiger Unterrichtsassistent in der Klasse eingesetzt. Der Vorteil des Partnership-Teaching: Einer der Lehrer kann sich auf den Inhalt des Spezialgebiets konzentrieren, während sich der andere um die sprachliche Erweiterung kümmert.


Die Eltern einbinden. Die Bemühungen der Schule beschränken sich aber nicht auf die Kinder. Es geht auch darum, Verknüpfungen zu den Eltern herzustellen. Dazu zählen Kaffeevormittage, Somali-Elternnachmittage oder afghanische Kulturabende. „Unsere Schüler sprechen über 60 verschiedene Muttersprachen. Wir feiern Diversität und sehen es als Privileg, hier arbeiten zu dürfen“, so die stellvertretende Schuldirektorin Janice Allen. Das zeigt sich auch im Schullogo. „Ex diversitate vires“, lautet es – „Durch Diversität zu Stärke“. „Ethnische Vielfalt sehen wir nicht als Last, sondern als Bereicherung. Das zeichnet unsere Schule aus.“

Die Glocke läutet. Neue Wörter zum Thema Licht und Reflexion wurden erarbeitet – und nächste Woche wird die Grammatik genauer angeschaut. „Danke schön, Miss“, bedankt sich Amino beim Verlassen der Klasse. Sie geht nun zu ihrer nächsten Stunde: Fremdsprachenunterricht Deutsch.

Dort unterstütze ich sie als Fremdsprachenassistentin, am Unterricht aktiv teilzunehmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2013)

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