„Mache das, weil ich mein Land liebe“

Thailand. In Bangkok besetzten Regierungsgegner mehrere Ministerien. Mit einer Strategie der Eskalation wollen sie Premierministerin Yingluck Shinawatra aus dem Amt treiben.

Bangkok. Mehrere tausend Regierungsgegner stehen im Regierungsviertel von Bangkok vor einer provisorisch errichteten Bühne. Ein Redner wiegelt die Menge auf. Ganz in der Nähe sind dumpfe Explosionen zu hören. Die Polizei feuert Tränengaskanister auf Randalierer, die versuchen, gewaltsam ins abgeriegelte Regierungsviertel einzudringen.

Die Proteste der Gegner von Premierministerin Yingluck Shinawatra nahmen am Wochenende an Heftigkeit zu. Protestführer Suthep Thaugsuban, bis vor Kurzem Abgeordneter der monarchistischen Democrat Party, hat seine Anhänger dazu aufgerufen, den Regierungssitz zu stürmen.

Die Demonstranten folgen seinem Aufruf. Einige hundert Meter weiter vorn haben Polizisten schon vor Tagen eine massive Betonbarrikade errichtet, hinter der Hunderte von ihnen postiert sind. Einige der Demonstranten schleppen nach und nach Sandsäcke nach vorn und beginnen, eine Rampe zu errichten, mit deren Hilfe sie die massive Betonabsperrung überrennen möchten. Einer der Protestanführer fährt mit einem Lautsprecherwagen vor und gibt der Menge Anweisungen. Marschmusik beginnt aus den Lautsprechern zu plärren. Er beginnt zu schreien: „Nach vorn!“ Hunderte Demonstranten stürmen auf die Polizisten zu. Die Polizisten antworten mit Wasserwerfern und schießen weitere Tränengaskanister in die Menge. Der Wind dreht sich und treibt das Gas in die Menschenmenge vor der Bühne. Die Demonstranten weichen zurück, kneifen vor Schmerz die Augen zusammen. Freiwillige spülen die Augen der Betroffenen mit Salzlösung und mit Wasser aus. „Ich mache das, weil ich mein Land liebe“, sagt ein Mann um die 60.

Dieses Scharmützel wird die Regierung an diesem Tag gewinnen: Den Demonstranten gelingt es nicht, den Regierungssitz zu stürmen.

Es ist jedoch nicht das erste Mal, dass sich bei den Protesten, die vor etwa einer Woche in ihrer jetzigen Stärke Fahrt aufgenommen haben, Gewalt entladen hat. Am Samstagabend haben Studenten der konservativen Ramkhamhaeng-Universität im Osten der Stadt die Hauptverkehrsstraße vor dem Rajamanagala-Fußballstadion abgeriegelt, in dem sich seit einigen Tagen mehrere zehntausend Unterstützer der Regierung – die sogenannten Rothemden – versammeln. Die Studenten schlagen bei zwei Nahverkehrsbussen, in denen sie rot gekleidete Menschen sehen, die Scheiben ein. Auch die Scheiben eines Taxis schlagen sie ein. Mehrere Menschen prügeln sie krankenhausreif.

Die Anführer der Rothemden im Stadion rufen ihre Anhänger dazu auf, nicht nach draußen zu gehen. Die Regierungsgegner wollen offenbar schwere Zusammenstöße und ein Blutbad provozieren. Dazu kommt es nicht. Jedoch erschießen die Angreifer bis zum Morgen mindestens zwei Unterstützer der Regierung. Auch mindestens ein Student kommt ums Leben.

Die Demonstranten verfolgen eine Taktik der schrittweisen Eskalation. In der vergangenen Woche haben sie das Finanzministerium besetzt und zu ihrem neuen Hauptquartier umfunktioniert. Auch weitere Ministerien haben sie besetzt. Am Sonntag dringt eine Gruppe von Regierungsgegnern auch in das Innenministerium ein. Im Norden der Stadt besetzen die Demonstranten zudem ein riesiges Verwaltungsgebäude.

Radikale Forderungen

So langsam scheint dem Protest jedoch die Puste auszugehen. Haben am Wochenende vor einer Woche noch mehr als 150.000 Menschen gegen die Regierung protestiert, so ist die Zahl der Demonstranten auf etwa 30.000 gesunken. Nur noch der harte Kern drängt weiter auf die Erfüllung ihrer Kernforderung: Das parlamentarische System soll abgeschafft und durch einen ungewählten „Volksrat“ ersetzt werden. Wahlen soll es keine mehr geben.

Die Radikalität dieser Forderung und das immer extremere Vorgehen der Demonstranten scheint aber viele Bewohner der Hauptstadt, die traditionell die Democrat Party wählen, vergrault zu haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.12.2013)

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