Der Hölle des syrischen Jihad entronnen

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Er wollte den Syrern helfen, ihre Freiheit zu erkämpfen, und landete bei skrupellosen Gotteskriegern: die Geschichte eines libyschen Kämpfers, der nach seinen Erfahrungen die Jihadisten für schlimmer hält als Diktator Assad.

„Namen und Orte kann ich Ihnen nicht nennen, sonst verliere ich meinen Kopf“, erklärt Alah al-Fakhri vor Beginn des Gesprächs. Dabei fährt er mit der Hand quer über seinen Hals. Auch seinen echten eigenen Namen nennt er nicht. „Sie wissen, diese Leute verstehen keinen Spaß.“ Der 43-Jährige kämpfte in Syrien aufseiten der al-Qaida-nahen Jabhat al-Nusra (JAN). Er ist der erste ausländische Kämpfer, der über diese Zeit erzählen will – und das ohne die übliche Jihad-Propaganda von dem Märtyrerparadies oder der Einrichtung eines glorreichen Kalifats wie vor 1400 Jahren.

Der Treffpunkt ist auf neutralem Boden, in einem Dorf knapp eine Fahrstunde von Benghasi entfernt. Al-Fakhri stammt aus dieser Hafenstadt im Osten Libyens, wo 2011 die Revolution gegen Diktator Muammar al-Gaddafi begann: „Ich war vom ersten Tag an dabei und habe bis zum Ende an der Front gekämpft.“ Er wisse, welche Opfer nötig sind, um die Freiheit zu erkämpfen. Deshalb wollte er dem syrischen Volk helfen. „Von 2. Februar bis 10. März war ich in Aleppo, hatte aber dann genug“, gesteht al-Fakhri. Es sei alles nicht so gewesen, wie er es sich vorgestellt hatte. „Diese Leute sind schlimmer als der syrische Präsident Bashar al-Assad.“

Der Libyer kämpfte mit Ansar al-Allah, einer Gruppe von rund 100 Männern, gut die Hälfte extreme Jihadisten. Man durfte sich nicht rasieren, selbst ein Schnauzbart war verboten, der Prophet Mohammed soll ja Vollbart getragen haben. Verboten waren auch Fernsehen, Radio und Musik. Handys wurden abgenommen, Rauchen war untersagt: „Für mich das größte Problem“, meint al-Fakhri lachend und zündet sich eine Zigarette an. Ansar al-Allah kämpfte unter der Leitung von JAN auf dem Flughafen von Aleppo und Dörfern in der Umgebung der nordsyrischen Industriemetropole. In den vier Wochen, in denen er da war, habe es sechs „Märtyrer“ gegeben. „Relativ wenig“, hält al-Fakhri als erfahrener Revolutionär fest. Als Ausrüstung hatte er eine Kalaschnikow und neue russische Handgranaten.

Zwei Scheichs, ein Syrer und ein Ägypter, kamen einmal pro Woche, um die Gruppe zu kontrollieren und Einsatzbefehle zu geben. Von syrischen Rebelleneinheiten wurde er gewarnt: „Diese Leute deiner Truppe sind äußerst gefährlich und schlachten rücksichtslos Menschen ab.“ Der Vater von fünf Kindern sagt erst, er will nie derartige Untaten beobachtet haben. Man glaubt es ihm kaum. Sein Gesicht versteinert buchstäblich.

„Das hat mit dem Islam nichts zu tun“

„Sie kämpfen nicht für die Freiheit des syrischen Volkes“, schimpft er aufgebracht: „Sie kämpfen nur für ihre eigene Macht, für einen islamischen Staat in allen arabischen Ländern. Wer dagegen ist, gilt als Ungläubiger, sein Todesurteil ist besiegelt.“ Dann platzt es aus ihm heraus: Es sei erschreckend gewesen, mit welcher Bereitschaft die Jihadisten Menschen hinschlachten. „Das hat mit dem Islam nichts zu tun.“

Bezahlt und organisiert wurde al-Fakhris Reise von der al-Qaida-nahen libyschen Ansar al-Sharia, einer der mächtigsten Milizen in Ostlibyen. „Ich musste in Derna in einem Camp von Ansar al-Sharia ein Training absolvieren, bevor es nach Syrien ging“, erzählt al-Fakhri. Derna, 290 Kilometer östlich von Benghasi, dient Ansar al-Sharia und al-Qaida als Hauptstützpunkt. Hier gibt es schon lange keine Polizei und kein Militär mehr. Im Stadtzentrum steht ein Werbestand von al-Qaida. Für Ausländer ist die Stadt tabu.

„Viele, viele hunderte von Jihadisten sind hier“, berichtet Abdelmalik, ein Bewohner Dernas. „Sie kommen aus Somalia, Nigeria, Afghanistan, Tunesien, Algerien und aus Mali.“ Trainiert würden sie in sechs oder sieben Camps in der Nähe der Grünen Berge. In dieser Gegend seien auch umfangreiche Waffenarsenale versteckt. Nach dem Training geht es via Türkei nach Syrien. Vor der Grenze müssen alle ihre Pässe und Handys abgeben. Dazu eine Telefonnummer, die im Todesfall angerufen wird. Sonst gibt es keinerlei Kommunikation mit der Familie. „Meine Frau ist daran gewöhnt, dass ich in den Krieg ziehe und längere Zeit nichts von mir hören lasse“, meint al-Fakhri lachend. Dieses Mal dachte sie jedoch, er sei tot.

Als Familie getarnt über die Grenze

Über die Grenze kam al-Fakhri zusammen mit seinen fünf libyschen Kampfkollegen auf illegalen, aber von den türkischen Behörden geduldeten Pisten. „Ein Kleinbus mit syrischen Frauen und Kindern pendelte zwischen den Grenzseiten hin und her“, erinnert sich al-Fakhri. „Als Familie getarnt, kamen wir alle unbehelligt nach Syrien.“ Schmunzelnd fügt er lächelnd an: „Die Türken hätten uns mehrmals aufhalten können, aber sie haben keinerlei Interesse.“

„Libyen ist die Bastion der Jihadisten in Syrien“, erklärt der tunesische Islamismusexperte Alaya Allani: „Aber die Bestrebungen von Ansar al-Sharia gehen über das Projekt Syrien hinaus. Sie wollen die gesamte Region beeinflussen.“ Was bisher unbekannt war: Wie Recherchen der „Presse“ ergaben, hielt Ansar al-Sharia im vergangenen September ein regionales Geheimtreffen in Libyen ab. Mitglieder der Schwesterorganisationen aus Marokko, Ägypten, Tunesien und Libyen trafen sich mit algerischen Vertretern von al-Qaida im Maghreb und der JAN aus Syrien. Drei Tage lang konferierten die militanten Islamisten völlig unbehelligt in Bengasi.

Al-Fakhri will mit all dem nichts mehr zu tun haben. Er ist schwer enttäuscht. Man sieht es ihm deutlich an, selbst wenn er gute Laune zur Schau stellt. Der 45-Jährige war bereit, für eine Sache zu sterben, die nicht die seine ist. Ein Idealismus, den man dem einfachen Mann aus Bengasi abnimmt. Er wollte das Richtige tun und mit der Freien Syrischen Armee kämpfen, landete aber bei den Jihadisten. Mit ihrer Vision konnte er aber nichts anfangen, und so kehrte er nach Hause zurück. Jetzt müsse er einmal Arbeit finden, um seine fünf Kinder durchzubringen, und nicht sofort wieder in den Krieg ziehen. „Dagegen hat meine Frau ausnahmsweise keine Einwände“, sagt er schmunzelnd und zündet eine weitere Zigarette an. Er inhaliert kurz und fährt mit der Hand quer über seinen Hals. Diesmal folgt ein erleichtertes Lachen, anders als zu Beginn des Gesprächs.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.12.2013)

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