Nahost: Scheitert Frieden an Siedlerbauten?

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Während Israels streitbarer Ex-Premier Ariel Scharon im Sterben liegt, drohen neue Siedlungsbauten Israels in den besetzten Gebieten die Friedensverhandlungen scheitern zu lassen.

John Kerrys zehnte Reise in den Nahen Osten steht im Schatten der Sorge um Israels Ex-Premier Ariel Scharon. Eine dramatische Verschlechterung seines Gesundheitszustands meldeten die Ärzte bereits am Mittwochabend, die Familie sprach von „ein bis vier Tagen“, die ihm noch blieben.

Am Donnerstag versagten mehrere Organe, etwa die Nieren. Von einer Dialyse an dem 85-Jährigen, der vor acht Jahren nach einem Schlaganfall ins Koma gefallen war, sahen die Ärzte in Absprache mit den beiden Söhnen Scharons ab.

Noch wenige Monate vor seiner Erkrankung hatte Scharon gegen den Protest aus der eigenen Likud-Partei den Plan umgesetzt, Siedler und Truppen aus dem Gazastreifen abzuziehen. Er gründete die Splitterpartei Kadima, die bis Anfang 2009 stärkste Regierungspartei blieb, heute aber nur noch mit zwei Sitzen im Parlament vertreten ist.

Denkbar ist, dass Ministerpräsident Benjamin Netanjahu den Likud ein weiteres Mal spalten wird. Netanjahu, der wegen des Gaza-Abzugs seinen damaligen Posten als Finanzminister zurückgelegt hat, gehört heute selbst zum liberalen Flügel des Likud. Sollte er im Rahmen der aktuellen Verhandlungen territorialen Zugeständnissen an die Palästinenser zustimmen, muss er mit Widerstand seiner Partei rechnen.

Keine Kompromissbereitschaft

Vorläufig ist von Kompromissbereitschaft Israels keine Rede. Zwar will Netanjahu, der gestern Kerry getroffen hat, nicht über den Wohnungsneubau für Siedler sprechen, solange Kerry zu Besuch ist – dabei ist jener längst beschlossene Sache. Israel wird als Ausgleich für die dritte Amnestie von 26 palästinensischen Langzeithäftlingen in dieser Woche wieder hunderte neue Wohnungen im besetzten Palästina bauen.

Dass die Neubauten für Siedler ein Hindernis für den Frieden seien, weist man in Jerusalem von sich. Aus Regierungskreisen wurde angesichts „unfairer Vorwürfe“ und des Drucks aus Washington und Brüssel Unmut laut. Israel und die Palästinenser würden „ungleich behandelt“, zitierte der Hörfunk einen Regierungsbeamten. Immer klarer positionieren sich Europas Außenminister gegen Israels Siedlungspolitik: Lars Faaborg-Andersen, der neue EU-Botschafter in Israel, nannte die neuen Bauprojekte „zutiefst besorgniserregend“. Diplomaten aus Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien rieten dringend von neuen Siedlungsbauten ab. Die EU werde Israel verantwortlich halten, sollte der Friedensprozess am Siedlungsbau scheitern, warnten sie. Umgekehrt stellte die EU eine „privilegierte Partnerschaft“ in Aussicht, falls die Zweistaatenlösung gelingt.

Auch die Geduld der Palästinenser schmilzt rapide: Verhandlungschef Saeb Erekat drohte mit dem Scheitern des Dialogs, sollte Israel wieder Bauprojekte für Siedler ankündigen. Kerry hatte ursprünglich bis Ende Dezember einen Rahmenplan erstellen wollen. Offenbar soll es wieder mehrere Treffen mit Netanjahu und dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas geben, bevor Kerry die Region in der kommenden Woche wieder verlässt.

Annexion des Jordantals?

Statt einer Annäherung beider Seiten scheinen sich die Fronten nur zu verhärten. Schon steht fest, dass die Palästinenser Kerrys Kompromiss zum Jordantal ablehnen, der eine noch bis zu zehn Jahre dauernde Präsenz von Israels Armee vorsieht. Abbas strebt alternativ die Stationierung internationaler Truppen an. In Jerusalem will man umgekehrt nichts davon hören, die Soldaten aus der Grenzregion abzuziehen. Im Gespräch ist derzeit sogar eine Annexion des Jordantals, allerdings müsste zuvor der entsprechende Gesetzesentwurf noch durch das Parlament.

Als Provokation reichte das dennoch: Erekat verurteilte die von den Hardlinern in Jerusalem angestrebte Annexion des Jordantals. „Palästina die einzige internationale Grenze nach Jordanien zu versagen ist ein klarer Schritt hin zu einem Apartheidregime in einem Staat“, sagte er. Noch sei es möglich, in der für die Verhandlungen festgelegten Zeit bis Ende April eine Grundsatzvereinbarung über einen Gebietsaustausch, Flüchtlings- und Sicherheitsfragen sowie Regelungen für Jerusalem zu erreichen. Andernfalls werde der Konflikt auf die internationale Bühne verlagert: „Palästina denkt über die nächsten Schritte nach“, so Erekat – dazu gehöre auch der Weg durch die Instanzen des Internationalen Gerichtshofs und anderer internationaler Foren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2014)

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