Tokio-Wahlkampf im Zeichen der Nuklearpolitik

Hosokawa
Hosokawa(c) APA/EPA/KIYOSHI OTA (KIYOSHI OTA)
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Populärer Ex-Premier Hosokawa will Gouverneur werden und AKW schließen. Laut Umfragen sind rund 60 Prozent der Japaner gegen die Kernkraft.

Tokio. Schon die Ankündigung seiner Kandidatur war eine Riesenüberraschung. Sein Wahlprogramm dann eine Kampfansage an das Establishment: Japans Ex-Premier Morihiro Hosokawa taucht wieder aus dem politischen Nichts auf und will Gouverneur von Tokio werden. Der Spross einer berühmten Adelsfamilie tritt am Sonntag als unabhängiger Kandidat, aber mit Rückendeckung der Opposition, gegen drei weitere Anwärter an, die sich um das einflussreiche Amt bewerben.

Nach 15 Jahren politischer Abstinenz mischt der 76-Jährige mit seinem wichtigsten Ziel Japans Politik gründlich auf: Er verlangt den sofortigen Ausstieg aus der Atomenergie. Damit wurde die kontroverse AKW-Frage zum bestimmenden Thema der Wahl, was der derzeitige Premier Shinzo Abe verhindern wollte.

Auf Hosokawas Seite steht ein weiterer Ex-Regierungschef. Der wohl populärste und immer noch einflussreiche Junichiro Koizumi hat sich im Herbst ebenfalls überraschend gegen Abes Atompolitik ausgesprochen. Damit tritt er dem Chef seiner regierenden Liberaldemokratischen Partei auf die Füße, der in der Öffentlichkeit gerade wieder die Werbetrommel für die Kernkraft und den Export von Atommeilern rührt. In seiner Amtszeit, 2001 bis 2006, hat Koizumi den Ausbau der Kernenergie gefördert. „In der Wirtschaft halten viele den AKW-Ausstieg für unverantwortlich“, erklärte Koizumi nun vor Kurzem „Ich hingegen befürworte den Atomausstieg.“

Unterstützung Koizumis

Hosokawa hatte sich kurz nach dem Erdbeben und der Nuklearkatastrophe in Fukushima im März 2011 gegen Atomstrom ausgesprochen. Das berühmte Duo hat sich nun zu einer Allianz zusammengeschlossen, die sich zumindest medienwirksam in Szene setzen kann. Hosokawas Kalkül: Nur mit Koizumi im Tandem könnte der Neustart der zur Sicherheitsüberprüfung abgeschalteten rund 50 japanischen Reaktoren verhindert und eine Energiewende eingeleitet werden.

„Wir können das Land verändern, wenn wir zeigen, dass selbst der Großraum Tokio mit seinen 45 Millionen Menschen und vielen Schlüsselindustrien ohne Atomstrom leben kann“, erklärten beide auf ihrer ersten gemeinsamen Pressekonferenz. Theoretisch stehen die Chancen am Sonntag für einen Überraschungs-Coup ganz gut. Laut Umfragen sind rund 60 Prozent der Japaner gegen die Kernkraft. Abe hat nun die Verabschiedung eines neuen Energieplanes mit Schwerpunkt Atomstrom bis nach der Wahl verschoben. Aber das Thema bleibt hochbrisant, weil auf Regierungsseite immer wieder die wirtschaftliche Notwendigkeit betont wird und die Energiekosten im rohstoffarmen Japan explodieren. In Tokio selbst gibt es keine AKW, aber die Stadt ist Firmensitz und viertgrößter Aktionär des Energiekonzerns Tepco, dem auch das havarierte Kernkraftwerk Fukushima Daiichi gehört.

Für Abe, seine Liberaldemokratische Partei und die Atomlobby kandidiert in Tokio Ex-Gesundheitsminister Yoichi Masuzoe. Sein Charisma reicht zwar nicht an den Gegenkandidaten Hosokawa, der von der Demokratischen Partei und zwei kleineren Organisationen unterstützt wird, heran, aber die Liberaldemokraten sind in Tokio seit Jahrzehnten an der Macht. Deshalb setzt Hosokawa neben der Atomwende noch auf ein anderes emotionales Ticket. Er will für die an Tokio vergebenen Olympischen Sommerspiele 2020 auch die Katastrophenregion im Nordosten aktiv einbeziehen und dadurch die schleppende Beseitigung der immensen Schäden beschleunigen.

Anerkennung der Kriegsschuld

Hosokawa wurde 1993 Regierungschef einer Mehrparteienkoalition, die damals die Liberaldemokratische Partei nach fast vier Dekaden der Alleinherrschaft ablöste. Er selbst hatte die Reformpartei „Neue Partei Japans“ gegründet. In die Geschichte ging er als erster Premier Japans ein, der sich zur Kriegsschuld bekannte. In einer Gedenkrede am 15. August sprach Hosokawa die Verantwortung Japans im Zweiten Weltkrieg an und drückte sein Beileid für alle Kriegsopfer und Überlebenden aus. Hosokawa trat wegen eines Spendenskandals zurück. Ironischerweise müssen die Gouverneurswahlen stattfinden, weil der bisherige Amtsinhaber Naoki Inose wegen einer Spendenaffäre gehen musste.

AUF EINEN BLICK

In Tokio finden am Sonntag vorgezogene Gouverneurswahlen statt. Die sind nach dem Rücktritt von Naoki Inose im Dezember notwendig geworden. Inose, der erst 2012 gewählt worden ist, hat die erfolgreiche Bewerbung für die Olympischen Spiele 2020 beaufsichtigt. Er soll vor den Wahlen 50 Mio. Yen (rund 350.000 Euro) von einer Klinikkette angenommen haben.

Zur Wahl tritt überraschend Ex-Premierminister Morihiro Hosokawaan, der mit Antiatompolitik punkten will. Unterstützt wird er vom ebenfalls populären Ex-Ministerpräsidenten Junichiro Koizumi. Regierungschef Abe schickt Ex-Gesundheitsminister Yoichi Masuzoe ins Rennen. Seine Liberaldemokraten sind in der Metropole seit Jahrzehnten an der Macht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2014)

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