Zuwanderung: Kurz wirft Schweiz "Rosinenpickerei" vor

Österreichs Außenminister Kurz ist vom Schweizer Resultat gar nicht erbaut
Österreichs Außenminister Kurz ist vom Schweizer Resultat gar nicht erbautAPA/DRAGAN TATIC
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Mit knapper Mehrheit hat die Schweiz für ein Zuwanderungslimit aus der EU gestimmt. Aus mehreren Ländern, darunter Österreich, kommt harsche Kritik. In der EU wird über mögliche Maßnahmen beraten.

Die am Sonntag angenommene Schweizer Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung", sorgt international für harsche Kritik: Fast gleichlautend die Vorwürfe aus Deutschland und Österreich: "Da es nicht möglich ist, sich einzelne Rosinen herauszupicken, gefährdet die Schweiz natürlich das gesamte Vertragswerk mit der europäischen Union", sagte Österreichs Außenminister Sebastian Kurz am Montag in Brüssel. Jede Volksentscheidung müsse zwar akzeptiert werden, doch das Ergebnis "bringt einige Probleme" für die EU und für die Schweiz mit sich, sagte der Außenminister: "Dort sind nämlich wir die Ausländer."

Sein deutscher Kollege Frank-Walter Steinmeier meinte, die Schweiz müsse wissen, "dass Rosinenpickerei dauerhaft keine Strategie sein kann." Was für direkte Folgen die Abstimmung für das Verhältnis der Schweiz zur EU und zu den Nachbarländern habe, könne er noch nicht sagen, so Steinmeier, der allerdings riet "das jetzt ohne Schaum vor dem Mund zu betrachten.

Schulz: "Nicht sofort losschlagen"

EU-Parlamentspräsident Martin Schulz hatte zunächst ebenfalls gesagt, die Schweiz könne nicht nur die Vorteile des EU-Binnenmarktes haben. Über etwaige Strafmmaßnahmen der EU will er derzeit aber noch nicht nachdenken: "Die Regierung in Bern hat die Initiative klar abgelehnt. Sie ist in dieser Frage unser Partner. Da sind wir nicht gut beraten, wenn wir sofort losschlagen", sagte er im Interview mit Spiegel Online.

"Wir können das nicht widerspruchslos hinnehmen", sagte indes der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europaparlament, Elmar Brok, im Interview mit dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Mehrere EU-Staaten, darunter Frankreich, erwägen, ihre Beziehungen zur Schweiz zu überdenken.

Sieben Abkommen stehen auf der Kippe

Die EU-Kommission erklärte, sie bedaure den Ausgang der Volksabstimmung und werde "die Folgen dieser Initiative für die Gesamtbeziehungen analysieren". Sie wies darauf hin, dass die sieben bilateralen Abkommen mit der Schweiz über Bereiche wie Freizügigkeit, Verkehr, Landwirtschaft, Forschung und öffentliche Ausschreibungen aus dem Jahr 1999 rechtlich miteinander verknüpft seien und nicht einzeln aufgekündigt werden könnten. Der Volksentscheid verletze das "Prinzip des freien Personenverkehrs".

Die Schweizer hatten sich am Sonntag in einer Volksabstimmung überraschend dafür ausgesprochen, die Zuwanderung aus der EU zu begrenzen. Mit 50,3 Prozent fiel die Zustimmung für die Initiative der national-konservativen Schweizer Volkspartei (SVP) "Gegen Masseneinwanderung" denkbar knapp aus. Aus Enttäuschung über die Niederlage gingen in den Großstädten Zürich, Bern und Luzern am Abend Hunderte Menschen auf die Straßen, um weiterhin für eine offene Schweiz zu werben.

Lob von Wilders und Le Pen

Lob erhielten die Schweizer indes von Rechtspopulisten und EU-Skeptikern: Der Niederländer Geert Wilders nannte das Abstimmungsresultat via Twitter "fantastisch". Die Französin Marine Le Pen, EU-Parlamentarierin und Parteivorsitzende des Front National schrieb: "Die Schweiz sagt Nein zur Masseneinwanderung, bravo! Wird die EU nun Panzer schicken?" Die EU-kritische britisch UKIP (United Kingdom Independence Party) twitterte, ihr Chef und EU-Abgeordnete Nigel Farage habe das Resultat in der Schweiz als "wundervolle Neuigkeit für die nationale Souveränität" bezeichnet.

Auch die SVP als Initiatorin der Volksabstimmung reagierte erfreut. Der Abgeordnete Luzi Stamm sprach im Schweizer TV davon, dass die Regierung nun "einen glasklaren Auftrag hat, neu mit der EU zu verhandeln, dass es nun statt Personenfreizügigkeit das Kontingent-Regime geben wird".

Umsetzung binnen drei Jahren

Die Regierung in Bern muss nun binnen drei Jahren das Ergebnis der Volksabstimmung umsetzen. Als assoziierter EU-Partner würde die Schweiz allerdings im Fall von Zuwanderer-Kontingenten gegen das Recht der Personenfreizügigkeit verstoßen. "Die Schweiz wird also in Zukunft die Bewilligungen für den Aufenthalt von Ausländerinnen und Ausländern durch Höchstzahlen und Kontingente begrenzen", sagte Justizministerin Simonetta Sommaruga (Sozialdemokraten/SP). Der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter (Liberale/FDP) kündigte am Abend an, es gehe nun darum, eine auch aus Sicht der EU akzeptierbare Form zu finden. Der Referendumstext sieht keine konkreten Zahlen für die Einwanderung vor.

Wirtschaft rechnet mit Nachteilen

Der Erfolg der Initiative gegen "Masseneinwanderung" löste in der Schweizer Wirtschaft große Sorgen aus. "Wir werden jetzt in eine Phase der Unsicherheit einbiegen", sagte der Präsident des Schweizer Arbeitgeberverbands, Valentin Vogt, im Schweizer Fernsehen. Unsicherheit sei für die Wirtschaft schlimmer als schlechte Nachrichten. Die stark exportorientierte Maschinen-, Elektro- und Metall-Industrie fürchtet nach Angaben vom Sonntagabend beträchtliche Nachteile im Handel mit der EU. Die Politik müsse alles daran setzen, das die Verträge mit der EU intakt blieben.

Die Schweiz wickelt den übergroßen Teil ihres Außenhandels mit der EU ab, ist aber selbst nicht Mitglied. Der Anteil der Ausländer in der Schweiz wird mit 23,5 Prozent (fast 1,9 Millionen) angegeben. Die Italiener liegen mit 291.000 vorne, knapp gefolgt von den Deutschen (284.200). Dahinter folgen Portugiesen (237.000) und Franzosen (104.000). Umgekehrt leben 430.000 Schweizer in EU-Staaten.

Als die gegenwärtig geltenden Freizügigkeitsregeln in Kraft traten, wurde von den Befürwortern gesagt, jährlich sei mit rund 8000 Einwanderern in der Schweiz zu rechnen. Tatsächlich sind es aber rund 80.000 pro Jahr. Das wurde von den Befürwortern der Initiative als Begründung angeführt, die Bestimmungen zu verschärfen.

(APA/AFP/DPA/SDA)

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