Schweiz-Referendum: Angriff auf die Freizügigkeit

Schweiz, Migration, EU
Schweiz, Migration, EU(c) EPA (DOMINIC FAVRE)
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Die Eidgenossen können im Kampf gegen die Arbeitsmigration auf interne Spannungen der EU setzen. Auch hier wächst der Wunsch, die Schranken hochzuziehen.

Brüssel. Angesichts der Tragweite der Entscheidung mag es zwar kurios erscheinen, doch vorerst einmal ändert sich in den Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU – gar nichts. Dass eine hauchdünne Mehrheit der Eidgenossen am Sonntag für den Ausstieg aus der EU-Personenfreizügigkeit und die Einführung von Ausländerkontingenten gestimmt hat, ist einerseits ein Paradigmenwechsel in der Größenordnung des Votums von 1992, als der Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum ähnlich knapp abgelehnt wurde. Andererseits wird sich diese Abkehr von Europa aber gemächlich, in mehreren Etappen vollziehen – und das ist durchaus im Sinne ihrer Befürworter in der Schweizerischen Volkspartei (SVP).

Der Bundesrat, die Exekutive der Schweiz, hat jetzt drei Jahre Zeit, um mit der EU zu verhandeln. Gelingt es ihm nicht, Brüssel von der Zweckmäßigkeit einer restriktiven Zuwanderungspolitik zu überzeugen, „so erlässt der Bundesrat auf diesen Zeitpunkt hin die Ausführungsbestimmungen auf dem Verordnungsweg“, heißt es in dem angenommenen Verfassungszusatz. Demnach würde der tatsächliche Bruch mit der EU erst 2017 stattfinden – Bruch insofern, als die Personenfreizügigkeit Teil eines sieben Elemente umfassenden Vertragspakets ist, das unter anderem Verkehr, Handel mit Agrarprodukten und die gegenseitige Anerkennung technischer Standards regelt. Diese sogenannte Bilaterale I wird in ihrer Gesamtheit hinfällig, wenn ein Vertragspartner auch nur eine Klausel aufkündigt. Nach einer sechsmonatigen Übergangsfrist wäre die Schweiz de facto von ihrem wichtigsten Exportmarkt abgeschnitten.

Gleichgesinnte in der EU

Die SVP und ihre Sympathisanten klammern diesen Aspekt bewusst aus – auch, weil sie sich mit der Stimmungslage in Europa im Einklang fühlen. Ihre Argumentation: Die EU wird nachgeben, weil bis dahin die Personenfreizügigkeit auch innerhalb der Union zur Disposition stehen wird. In der Tat regt sich seit rund einem Jahr Widerstand gegen den freien Personenverkehr, der in mehreren Mitgliedsländern als Beihilfe zum Sozialtourismus verunglimpft wird. Die Speerspitze dieser migrationskritischen Avantgarde ist Großbritannien, und die Einschränkung der Personenfreizügigkeit gehört zu jenen Zugeständnissen, die Premier David Cameron der EU abringen will, bevor die Briten über den Verbleib ihres Landes in der Union abstimmen sollen – was voraussichtlich ebenfalls 2017 der Fall sein wird. Die SVP spekuliert darauf, dass sich mehrere EU-Mitglieder ihrer Forderung anschließen – womit Brüssel schachmatt gesetzt wäre, denn gemäß EU-Recht kann die Union die Verträge mit der Schweiz nur einstimmig kündigen.

Dieses Kalkül hat allerdings eine Schwachstelle: Die EU-Kommission sieht es genau umgekehrt. „Der Ball ist nun im Spielfeld der Schweiz“, lautete am Montag der dürre Kommentar seitens der Brüsseler Behörde. Gemäß dieser Lesart liegt es nicht an der EU, sondern an Bern, die Verträge zu kassieren – und zwar in dem Moment, in dem die Schweiz ihre Aufrechterhaltung nicht mehr gewährleisten kann. Und dieser Augenblick könnte bereits früher eintreten, denn die Schweiz ist dazu verpflichtet, demnächst die Personenfreizügigkeit auf das neue EU-Mitglied Kroatien auszudehnen. Zugleich aber verbietet das Ergebnis der Volksabstimmung völkerrechtliche Verträge, die dem Votum der Schweizer Wähler zuwiderlaufen. Ob Übergangsfristen für die Öffnung des Schweizer Arbeitsmarkts für Kroaten ausreichen werden, um diese juristische Quadratur des Kreises zu schaffen, bleibt abzuwarten. Aber auch so wird die Schweizer Regierung alle Hände voll zu tun haben: Mit dem Volksentscheid steht ein großes Fragezeichen über der geplanten Kooperation im Energiebereich sowie im Rahmen des EU-Forschungsprogramms Horizon 2020. Auch das angepeilte institutionelle Rahmenabkommen steht unter keinem guten Stern. Eigentlich wollte die EU am kommenden Donnerstag grünes Licht für den Start der Verhandlungen geben. Der Beginn der Verhandlungen werde nun evaluiert, hieß es gestern.

Weitere Infos: www.diepresse.com/schweiz

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2014)

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