Ukraine: "Demonstranten wird nur etwas Großes überzeugen"

Kiew, Ukraine, Protest
Kiew, Ukraine, Protest(c) APA/EPA/SERGEY DOLZHENKO (SERGEY DOLZHENKO)
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Der Experte Kyryl Savin befürchtet eine neuerliche Eskalation der Proteste, sollte die Führung in Kiew keine Zugeständnisse machen.

Die Presse: Glauben Sie, dass die bisherigen Zugeständnisse der ukrainischen Regierung die Lage beruhigen und die Demonstranten zum Abzug bewegen könnten?

Kyryl Savin: Der Rücktritt des Premierministers und die Rücknahme des rigiden Gesetzespakets sind Schritte in die richtige Richtung. Sie sind leider zu spät erfolgt. Damit hätte man die Situation vor zwei Monaten beruhigen können. Ich glaube nicht, dass man heute ohne vorgezogene Präsidentschaftswahlen – oder eine Änderung der Verfassung – eine ernsthafte Einigung finden kann. Präsident Janukowitsch hat sehr lange versucht, die Krise auszusitzen, auf Zeit zu spielen. Das hat nur dazu geführt, dass sich die Proteste radikalisierten.

Fühlen sich die Protestierenden durch die Opposition vertreten?

Die Aktivisten auf dem Maidan sind keine homogene Gruppe. Es sind viele verschiedene Grüppchen bis hin zu Einzelpersonen, die überhaupt keine Anbindung an Organisationen haben. Alles ist sehr dezentral – was gut und positiv ist. Aber es erschwert das Ganze auch: Irgendjemand muss mit Janukowitsch verhandeln – es können nicht 2000 Leute zum Präsidenten gehen. Die politische Opposition bildet im Moment diese Spitze, aber seit November 2013 gab es auch immer wieder Reibungen zwischen den Parteien und den Aktivisten. Die Legitimität der Opposition ist relativ gering – deshalb lässt sie sich auch immer wieder durch Maidan-Auftritte bestätigen.

Warum gibt es diese Reibungen?

In der Ukraine traut man den Politikern nicht, egal, ob sie Oppositionelle sind oder nicht. Denn Politiker, so denkt man, handeln immer aus Eigeninteresse und tun nebenbei vielleicht etwas fürs Volk.

Warum hat die Opposition eine Regierungsbeteiligung bisher ausgeschlossen?

Unter der heutigen Verfassung ist der Ministerpräsident eine Marionette in den Händen des Präsidenten. Die Ukraine ist eine präsidiale Republik, der Präsident kann jederzeit das Kabinett entlassen. Das ist schon genug, um zu sagen: Finger weg! Die Opposition würde sich selbst einen Bärendienst erweisen.

Wie erklären Sie sich den Aufstieg der radikaleren Gruppen?

Der Maidan war von Anfang an von Nationalisten geprägt. Nicht nur von der Partei Swoboda, sie ist die Spitze dieses Eisbergs, sondern auch von paramilitärischen Organisationen, rechtsradikalen Gruppen und Hooligans. Für diese gab es Mitte Jänner, nachdem die Proteste von der Regierung zwei Monate lang ignoriert worden waren, eine Sternstunde – die gewaltsamen Zusammenstöße. Viele junge Menschen fühlen sich von den nationalistischen Parolen angesprochen. Jetzt gelten die Radikalen als Helden, denn die friedlichen Proteste haben lange Zeit nichts gebracht.

Werden noch weitere Eskalationen folgen?

Ich befürchte es. Vor allem, wenn der Verhandlungsprozess keine Einigung erzielt. Möglich ist auch, dass die gemäßigte Opposition einen Kompromiss erzielt, aber die Straße das nicht akzeptiert – etwa die Räumung von Plätzen oder Häusern. Deshalb muss etwas Großes vonseiten der Regierung kommen – alles andere wird die Aktivisten nicht überzeugen. Präsident Janukowitsch aber will nicht weichen. Deshalb bin ich wenig optimistisch.

ZUR PERSON

Kyryl Savin (37) leitet das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Kiew. Die Stiftung steht den deutschen Grünen nahe. Arbeitsschwerpunkte in der Ukraine: Stärkung der Zivilgesellschaft, Geschlechterfragen, Energiepolitik. [ Privat ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.02.2014)

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