Ex-Jugoslawien: Europas instabiler Hinterhof am Balkan

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Der heftige Ausbruch von Protesten in Bosnien erinnert Europa daran, dass in seinem Südosten 15 Jahre nach dem vergangenen Krieg noch viel im Argen liegt. Ein Überblick zeigt Problemzonen und die Erfolgsmodelle.

Bosnien und Herzegowina war vom internationalen Radar verschwunden – bis sich Anfang Februar, ausgehend von der Stadt Tuzla, Sozialproteste blitzartig ausbreiteten. Bald brannten in der Hauptstadt Sarajewo Regierungsgebäude, es gab mehrere hundert Verletzte. Ein Weckruf für die Staatengemeinschaft, die in Bezug auf das Land weitgehend resigniert hatte. Man war froh, mit dem Dayton-Vertrag von 1995 den Krieg beendet und sozusagen die Blutung gestillt zu haben. Mehr als lebenserhaltende Maßnahmen für den Staat gab es aber seither nicht.

Mehr noch, Dayton hat (siehe Leitartikel)im Grunde zu völlig dysfunktionalen Strukturen geführt, die ein Fortkommen des Landes massiv behindern. Nennenswerte Fortschritte wurden in der Vergangenheit nur erzielt, wenn sie der Hohe Repräsentant der Staatengemeinschaft per Dekret verordnete. Doch der derzeitige Amtsträger, der Österreicher Valentin Inzko, hat nicht mehr die Vollmachten, die etwa einem Wolfgang Petritsch 1999 bis 2002 zustanden. Die Drohung einer Abspaltung, die Präsident Milorad Dodik und andere Politiker der Republika Srpska immer wieder ventilieren, ist zwar vor allem eine Drohung und kein realer Plan, Stabilität fördert solche Rhetorik aber nicht, ebenso wenig wie die periodisch aufflammende Idee einer „kroatischen Entität“, die den Staat sprengen würde. Während andere Länder der Region (bis auf den Kosovo) zumindest eine EU-Beitrittsperspektive haben, hat Bosnien nicht einmal einen Antrag gestellt.


Serbien. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte: Ausgerechnet Ivica Dačić, der einstige Sprecher des 2006 im Gefängnis des Haager Kriegsverbrechertribunals verstorbenen serbischen Autokraten Slobodan Milošević, durfte am 21. Jänner in Brüssel mit den EU-Spitzen die formelle Eröffnung von Beitrittsverhandlungen feiern.

Gerade das Beispiel Serbien zeigte immer wieder, welche Anziehungskraft die EU in der Region hat: 2008, nach der Abspaltung des Kosovo, wollten die nationalistischen Parteien den Annäherungsprozess abbrechen. Die Regierung zerbrach, das proeuropäische Lager setzte sich durch, ergänzt um Dačićs Sozialisten, die ihre Liebe zu Europa entdeckten. Wenig später vollzog ein Teil der Ultranationalisten eine ähnliche Wende. Dass Brüssel Belgrad tatsächlich in die Startblöcke ließ, liegt an der Entspannung zwischen Serbien und dem Kosovo, die durch Vermittlung der EU 2013 zustande kam. An den grundsätzlichen Differenzen – Serbien erkennt die Abspaltung seiner Exprovinz nicht an – hat sich zwar nichts geändert. Aber in Belgrad hat ein realistischer Blick die Oberhand gewonnen.

Instabil bleibt die Lage im südserbischen Preševo-Tal. Die Albaner, die dort die Mehrheit der Bevölkerung bilden, fühlen sich nach wie vor von Belgrad als Menschen zweiter Klasse behandelt, es gibt eine starke Bewegung für einen Anschluss an den Kosovo. Ein zweites, vor allem auch soziales Pulverfass ist der mehrheitlich von Muslimen bewohnte, bitterarme Sandžak an der Grenze zu Montenegro.

Kosovo. Die Kosovo-Albaner haben sich vor fast genau sechs Jahren ihren großen Traum erfüllt: die Abspaltung von Serbien. Die Sache hat freilich bis heute einen Schönheitsfehler: Die Eigenstaatlichkeit ist international noch nicht umfassend anerkannt. Weltweit sind es 108 von 193 UN-Staaten, die dies tun, aber der Prozess verläuft zäh. Und nach wie vor sind fünf EU-Staaten (Spanien, Rumänien, Griechenland, Zypern, Slowakei) nicht zur Anerkennung bereit. Dies legt der EU-Annäherung einen massiven Stolperstein in den Weg, auch wenn man seit 2013 immerhin über ein Assoziierungsabkommen verhandelt. Bei den internen Problemen dominiert die extrem hohe Arbeitslosigkeit (siehe Grafik).Diese wird dadurch verschärft, dass Länder, die im Zuge des Kosovo-Krieges 1999 Flüchtlinge aufnahmen, längst begonnen haben, diese zurückzuschicken. Instabil ist vor allem der serbisch dominierte Nordkosovo, was sich bei den Kommunalwahlen Ende 2013 erneut zeigte: Obwohl die EU so auf die Abhaltung dieser Wahlen gedrungen hatte, waren beim ersten Durchgang die Soldaten der KFOR (Mannstärke derzeit 4000) nicht in der Lage, diese zu sichern.

Kroatien
hat es am 1. Juli 2013 geschafft: Als zweites Land aus der jugoslawischen Erbmasse trat es der EU bei – und das gleich mit einem handfesten Konflikt. Im Streit um die Auslieferung eines einstigen Agenten Titos, der in Deutschland des Mordes verdächtigt wird, zeigte sich das Neumitglied von keiner guten Seite. Sanfter Druck aus Brüssel bewirkte jedoch ein Einlenken. Auch künftig wird die EU das Thema Korruption streng im Blick haben müssen.
Slowenien stand beim Zerfall Jugoslawiens Anfang der 1990er-Jahre am besten da. Deshalb konnte das Land mit einem Schwung osteuropäischer Staaten bereits am 1. Mai 2004 der EU beitreten. Doch die Pole-Position hatte ihre Tücken: Slowenien konnte sich nämlich lange um nötige Reformen drücken, post-kommunistische Strukturen und Staatsbeteiligungen lähmen bis heute die Wirtschaft. Dies zeigt sich vor allem am maroden Bankensektor, der das Land an den Rand des Euro-Rettungsschirmes brachte.

Mazedonien könnte heute schon wesentlich stabiler sein, als es ist, wäre es nicht Gefangener des grotesken Namensstreits mit Griechenland. Weil Athen behauptet, der Name Mazedonien würde Gebietsansprüche an Griechenland implizieren (die jedoch kein ernst zu nehmender Politiker in Skopje stellt), blockiert Griechenland bis heute den Nato-Beitritt Mazedoniens und die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU. Immerhin ist Skopje Beitrittskandidat. Mazedonien war jene Teilrepublik, deren Abspaltung von Jugoslawien 1991 nicht unmittelbar von kriegerischen Auseinandersetzungen begleitet war. Die gab es erst zehn Jahre später im Zuge eines separatistischen albanischen Aufstandes. Dieser konnte allerdings von der Nato beruhigt werden. Bis heute gibt es aber trotz des Ohrid-Abkommens zwischen slawischen und albanischen Bürgern des Landes erhebliche Spannungen.

Montenegro geriet zuletzt vor allem in die Schlagzeilen, wenn wieder einmal das Auto eines Journalisten angezündet wurde oder ein Sprengsatz vor einer Redaktion detonierte. Es trifft Medien, wie etwa die Zeitung „Vijesti“, die kritisch zur Regierung von Premier Milo Djukanović stehen. Dieser hält seit 1991 die Zügel im Land in der Hand, zumeist als Premierminister oder Präsident. Die Beziehungen zu Serbien wurden durch die Auflösung des Staates Serbien-Montenegro (nach einer Volksabstimmung im „Land der Schwarzen Berge“) arg strapaziert. Das Land, das den Euro bereits 2002 einführte, verhandelt seit Mitte 2012 über einen EU-Beitritt. Sorgen machen Brüssel vor allem Korruption und organisierte Kriminalität.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.02.2014)

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