Blutiger Kampf gegen „Faschisten“

VENEZUELA PROTESTS
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Seit drei Wochen dauern die Proteste gegen die Regierung Maduros an. Er antwortet mit Fallschirmjägern. Vergangenes Wochenende haben Demonstranten in der Hauptstadt Caracas eine Autobahn besetzt und wurden mit Tränengas verjagt.

Caracas/Wien. Die Kugel trifft Génesis Carmona in den Kopf. Ein junger Mann hält sie fest, steigt auf ein Motorrad, ein anderer fährt die beiden durch den dichten Verkehr in das Krankenhaus. Dort erliegt die 22-jährige Carmona ihren Verletzungen. Sie ist das fünfte Todesopfer, seit die Proteste in Venezuela vor rund drei Wochen begonnen haben – und wohl auch das bekannteste. Carmona war amtierende Miss Tourismus des Bundesstaates Caraboro, in dessen Hauptstadt Valencia die Schönheitskönigin Carmona an den Protesten teilgenommen hatte. Wer sie erschossen hat, war zunächst nicht bekannt.

Die Situation in Venezuela gerät immer mehr außer Kontrolle. Am Donnerstag hat die Regierung Fallschirmjäger nach San Cristóbal im Westen des Landes geschickt: Dort begannen die Proteste, nachdem eine Studentin fast vergewaltigt worden wäre. Vergangenes Wochenende haben Demonstranten – es sind vor allem Studenten – in der Hauptstadt Caracas eine Autobahn besetzt und wurden mit Tränengas von der Straße verjagt. Im ganzen Land hat Präsident Nicolás Maduro die Sicherheitsvorkehrungen verschärft, auch die paramilitärischen Colectivos, die sich als Hüter des revolutionären Sozialismus verstehen, sollen die Proteste im Zaum halten. Gerade ihnen wirft die Opposition vor, zur Eskalation der Lage beizutragen, während die Regierung mehrere Schuldige für den von „Faschisten geplanten Staatsstreich“, so die Diktion Maduros, ausgemacht hat. Zunächst stehe der kolumbianische Ex-Präsident Álvaro Uribe, den Maduro einen „faschistischen Feind Venezuelas“ nannte, finanziell hinter den Aufständischen.

Einmarsch der „Gringo-Armee“

Auch die USA würden die Proteste sowohl unterstützen, als auch Einfluss darauf nehmen. Weil Maduro drei Beamten der US-Botschaft Kontaktaufnahme mit den Demonstranten vorwarf, wurden sie des Landes verwiesen. US-Präsident Barack Obama wies die Vorwürfe als unwahr zurück und forderte die Regierung auf, die verhafteten Demonstranten freizulassen, darunter mehrere Journalisten. Erst vergangene Woche drohte Maduro, den Sender CNN in Venezuela abzudrehen, da dieser falsche Informationen verbreiten würde, um den Einmarsch der „Gringo-Armee“ zu rechtfertigen. Mit Begriffen wie diesen – jüngst donnerte er den fast schon rustikal gewordenen Spruch „Yankee, go home!“ ins Mikrofon – sowie der pauschalen Verdächtigung jeglicher Opponenten als Faschisten schlägt Maduro einmal mehr in die gleiche Kerbe seines verstorbenen Vorgängers Hugo Chávez (der George Bush einen Esel nannte und den ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit Hitler verglich).

Als Drahtzieher der landesweiten Proteste gilt für die Regierung der Oppositionspolitiker Leopoldo López von der Partei Voluntad Popular. Zunächst wurde der 42-jährige Harvard-Absolvent per Haftbefehl gesucht – ihm wurden im Rahmen der Proteste terroristische Aktivitäten und Mord vorgeworfen. Am Dienstag schließlich führte López einen weiteren Demonstrationszug an – und verkündete öffentlichkeitswirksam, sich selbst der Polizei stellen zu wollen: Er habe nichts zu verstecken, ließ López die ihm zujubelnde Menge wissen. Nach seiner Verhaftung wurden die ursprünglichen Vorwürfe zwar fallen gelassen, aber López muss sich nun wegen Brandstiftung und Verschwörung vor Gericht verantworten. Ihm drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Neuer Zehn-Punkte-Plan

Es ist die größte Protestwelle in Venezuela, seit Maduro vor knapp einem Jahr sein Amt angetreten hat. Die Demonstranten fordern unter anderem einen neuen Wirtschaftskurs des ölreichen Landes, wobei vor allem die Teuerungsrate eingedämmt werden soll. Zudem habe Venezuela die extrem hohe Kriminalitätsrate noch immer nicht im Griff. Vor einem Monat etwa wurde bei Valencia eine andere Ex-Schönheitskönigin, die 29-jährige Mónica Spear, auf der Straße ausgeraubt und getötet.

Maduro will nun mit einem „Zehn-Punkte-Plan“ die Kriminalität nachhaltig bekämpfen. Den Demonstranten war die Ankündigung dieses Planes nicht genug: Sie fordern seinen Rücktritt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2014)

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