Der Nervenkrieg um die Krim

UKRAINE CRISIS CRIMEA
UKRAINE CRISIS CRIMEA(c) APA/EPA/MAXIM SHIPENKOV
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Die Lage auf der Halbinsel spitzt sich zu: Uniformierte ohne Abzeichen, hinter denen Kiew Russen vermutet, besetzten zwei Flughäfen. 2000 russische Soldaten sind auf Militärbasis gelandet.

Die Soldaten trugen keine Abzeichen, ihre Armeefahrzeuge keine Nummernschilder. In grünen Camouflage-Uniformen, schusssicheren Westen und mit AK-Sturmgewehren (interessanterweise ohne eingesteckte Magazine) bewaffnet hatten sie Freitagfrüh den Flughafen der Krim-Hauptstadt Simferopol in ihre Gewalt gebracht, spazierten auf dem Areal umher und sorgten nach eigenen Angaben „für Ordnung“. Mehr war von ihnen nicht zu erfahren. Ihr Quartier hatten sie im Restaurant aufgeschlagen, den Betrieb behinderten sie nicht. Aber wer hatte sie geschickt? Und warum? Welcher Einheit gehören sie an? Keine Auskunft. Am Nachmittag stiegen sie wieder in ihre Lastwagen – und fuhren davon.

Für die ukrainischen Behörden ist das eine Provokation. Und es zeigt, dass sie keine Kontrolle über die Krim haben. Am späten Abend spitzte sich die Lage dann zu: 2000 russische Soldaten landeten auf einer Militärbasis nahe Simferopol. Das berichtete der Sondergesandte Sergej Kunitsin der ukrainischen Präsidentschaft. Er sprach im Fernsehen von einer „bewaffneten Invasion". Die neue Führung in Kiew protestierte offiziell gegen die „Verletzung des ukrainischen Luftraums".

Am Abend beschäftigte sich der UNO-Sicherheitsrat mit der Lage. Der ukrainische Botschafter Juri Sergejew warf Russland vor, massiv die Grenze zwischen beiden Ländern zu verletzen. „Wir betrachten das als Aggression", sagte er am Freitag nach der UN-Sondersitzung. „Nicht nur, dass Soldaten und Transportflugzeuge in unseren Luftraum eingedrungen sind, es haben auch elf Hubschrauber die Grenze verletzt. Und ich spreche von Mi-24. Das sind keine einfachen Transport-, das sind Kampf- und Angriffshubschrauber." Es sei das gleiche Szenario wie in anderen früheren Sowjetrepubliken.
Der Militärflughafen Sewastopol war zuvor besetzt worden, nicht identifizierte Soldaten bauten Straßensperren vor der Stadt auf und kontrollierten Autos. Ukrainische Grenztruppen meldeten, eine ihrer Einheiten in Sewastopol würde von russischen Soldaten blockiert.

In Simferopol rätselte man noch immer, wer hinter der Besetzung des Krim-Parlaments steckt: Die Bewaffneten, die am Donnerstag das Gebäude okkupiert haben, sollen noch immer dort sein. Überprüfen lässt sich das nicht. Nur Abgeordnete werden vorgelassen. Einer von ihnen, Sergej Zekow, erklärte, sie selbst hätten die Bewaffneten „eingeladen“. „Sie werden hierbleiben, solange wir es wünschen.“ Es handle sich um Bürger der Krim. Und um Selbstverteidigung.

Vor dem „Pentagon“ genannten Parlament gab es auch am Freitag eine prorussische Demo. Ihre Teilnehmer sind wegen der geheimnisvollen Milizionäre ebenfalls nicht beunruhigt, im Gegenteil: Sie fühlen sich gut beschützt. „Mütterchen Russland, nimm das Volk unter deine Obhut“ stand auf einem der Transparente, hinter dem sich vielleicht 200 Menschen versammelten.

„Wir lassen keinen Verräter durch“

Der Ruf wurde in Moskau längst erhört. Wie die Nachrichtenagentur Ria Novosti berichtet hat, soll der Duma ein Gesetz vorgelegt werden, das den Anschluss eines anderen Landes oder Teils davon erleichtern soll: Für die Eingliederung wäre dann schon der Wille des Volkes in Form eines Referendums ausreichend. Und russische Spitzenpolitiker entdecken die Krim als Reiseziel: Wladimir Wassiljew, Fraktionschef der Kreml-Partei Geeintes Russland, ist ebenso gekommen wie Ultranationalist Wladimir Schirinowski.

Prorussische Nationalisten wittern nun ihre Chance: Der neue prorussische Premier, Sergej Aksjonow, wurde am Donnerstag nach der Besetzung in einer umstrittenen Sitzung gewählt. Das lokale Parlament will am 25.Mai, dem Tag der ukrainischen Präsidentschaftswahl, ein Referendum über den Status der Krim abhalten – eine Abstimmung, die von Kiew als illegitim angesehen wird. Doch von Kiew will man sich hier nichts mehr sagen lassen: Dort hätten jetzt Faschisten das Sagen, heißt es hier.

„Einen Verräter der Krim lassen wir hier nicht durch!“, ruft Michail Scheremetjew, ein großer Mann mit Pelzkappe durch das Megafon. Hinter ihm sechs Dutzend Männer. Sie stehen, Fahnen der Krim in der Hand, vor einem rosa Gebäude, dem Amtssitz des neuen Kiewer Statthalters, Sergej Kunitsin. Die Demonstranten sind darüber erbost. „Er hat hier keine Autorität“, sagt Scheremetjew, der wie der neue, von Kiew wiederum nicht anerkannte Krim-Premier zur Organisation „Russische Einheit“ gehört. Dass Kunitsin dem neuen ukrainischen Präsidenten unterstellt ist, reicht schon für die Ablehnung. Eine Handvoll ukrainischer Milizionäre steht daneben und beobachtet das Treiben, ohne einzuschreiten.

Steinmeier warnt vor Zuspitzung

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier warnte vor einer Eskalation der Lage auf der Krim. „Jetzt sind wir in einer Situation im Streit um die Krim, wo ich nicht sicher bin, ob wir die unterschiedlichen Interessen wieder zusammenbringen", sagte Steinmeier am Freitag in Washington bei einem Auftritt in der Denkfabrik Brookings Institution. Steinmeier, der eine sehr gute Beziehung zum Kreml hat, betonte, er bemühe sich darum, „bei all den Unterschieden die Kanäle offen zu halten", weil „die Bewertung von Vorgängen in Ost und West sehr unterschiedlich" seien. Bei seiner Intervention vor einer Woche in Kiew gemeinsam mit Radosław Sikorski und Laurent Fabius, den Außenministern Frankreichs und Polens, habe sich die russische Regierung noch sehr konstruktiv verhalten. „In einer Zeit des Blutvergießens kann es nicht darum gehen, ob die Ukraine zum Westen oder zum Osten gehört, sondern darum, das Blutvergießen zu beenden."

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.03.2014)

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