Keine Theorie, bitte? Feminismus zum Angreifen

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Klischeehafte Werbung(c) Clemens Fabry
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Feminismus wird dort schwierig, wo er sich aus persönlichen Erfahrungen und Erlebnissen speist – aber genau dort wird er auch spannend. Eine Bestandsaufnahme zwischen Abtreibungsgeständnissen und #aufschrei.

Höfliches Augenverdrehen, unterdrückte Langeweile, manchmal auch gepflegte Ironie. Wer ankündigt, er (oder sie) wolle feministische Grundfragen erörtern, erntet häufig eine dieser Reaktionen. Und ein wenig kann man es verstehen.

Denn irgendwie scheint in der Sache alles gesagt. Die Argumente für und wider die Quote liegen auf dem Tisch, die Gläserne Decke wurde nicht durchbrochen, aber oft besprochen, zugegeben, bei der Prostitution sind die Positionen noch nicht restlos geklärt – aber sonst? Muss man 2014 noch aufklären, wie Sexismus funktioniert? Sogar Christa Pölzlbauer, die Vorsitzende des Österreichischen Frauenrings, dem Dachverband österreichischer Frauenorganisationen, kommt mitunter ins Zweifeln: „Es ist so, dass von den Vorkämpferinnen alles gesagt, aber von der Politik noch wenig umgesetzt wurde. Jetzt hat auch die Basis ihren Beitrag zu leisten.“ Frauen bräuchten den Mut, um aus alten Rollen auszusteigen, faire Gehälter einzufordern.


Die jungen Mediengesichter.
Dort, wo Feminismus persönlich und konkret wird, wird er schwierig – aber auch spannend. Das merkt man, wenn man jene jungen „Mediengesichter“ vergleicht, die zuletzt das Bild des deutschsprachigen Feminismus geprägt haben. Sie eint, dass es statt um Thesen oder statistische Fakten vor allem um praktische Erfahrungen, ums Persönliche geht, Marina Weisband ist auf diese Art quasi nebenbei zur öffentlichen Feministin geworden. Die frühere politische Geschäftsführerin der deutschen Piratenpartei, die inzwischen in ihrer Heimat Ukraine die Geschehnisse verfolgt, wurde durch ihre Auseinandersetzung mit den Medien zur Expertin in Sachen Frauenbild. Die Journalisten, die anfangs „lieber einen Mann“ für Interviews wollten, weil der typische Pirat eben männlich sei, traten bald einen Hype um die „hübsche Piratin“ los. Weisband wurde zur Chiffre für die Frage, wie weiblich sich Politikerinnen geben dürfen. Über ihren „blassen Ausschnitt“ und die „roten Lippen“ wurde ausgiebig debattiert. Weisband hat sich, wie sie der deutschen Zeitung „Die Zeit“ erklärte, für solche Fälle eine kurze Antwort zurechtgelegt, sie sage dann einfach: „Das war sexistische Kackscheiße, mein Lieber“. 2014 mag man es Twitter-kurz.

Apropos: Als im Vorjahr ein #aufschreiauf Twitter losging, war das ein Musterbeispiel dafür, wie die Wucht vieler persönlicher Erfahrungen wirkt (freilich in Kombination mit einem prominenten Anlassfall). Das Thema Sexismus wurde quasi neu entdeckt. Was schon bei Alice Schwarzer funktionierte (man denke an das Bekenntnis-Cover auf dem „Stern“: „Wir haben abgetrieben“), funktioniert auf emotional kleinerer Flamme auch heute im anonymen, digitalen Raum: konkrete Erfahrungen, über die man sich austauschen kann. Mit dem Unterschied: Die theoretischen Ausführungen von #aufschrei-Mitinitatorin Anne Wizorek gingen diesmal im Erfolg unter.


Ziel für Trolle. Dass soziale Netzwerke ein fruchtbarer Acker für feministische Anliegen wären, hält Lena Doppel trotz des Hypes um die Aktion übrigens für einen Trugschluss. Denn die Beraterin für digitale Medien, die sich auch feministisch engagiert, beobachtet, dass gerade Feministinnen auf Twitter und Co. eine beliebte Zielscheibe für pöbelnde „Trolle“ abgeben. Der Erfolg von #aufschreisei zudem eine einmalige Sache: „Zumindest mit demselben Thema funktioniert das nur einmal.“

Auch wenn vom #aufschreiletztlich nur ein Murmeln blieb, verdankt man der Aktion interessante Schlaglichter auf die junge deutsche feministische Szene. In TV-Talk-Runden saßen sich etwa #aufschrei-Co-Organisatorin Anna-Katharina Meßmer und Femen-Aktivistinnen gegenüber. Letztere sind ebenfalls als Botschafterinnen des persönlichen Feminismus im Einsatz – ein intimeres Demo-Transparent als die nackte Haut ist schließlich schwer vorstellbar. Im Licht des TV-Studios wurden die weltanschaulichen Bruchlinien zwischen den Frauen sichtbar. Femen sind für Meßmer vor allem normschöne „Opfer des Mediensystems“.

Nach der Sendung allerdings geriet Meßmer selbst ins Visier der feministischen Kritik. Vertreter der „Critical Whiteness“-Bewegung, die darauf drängen, dass eine Feministin immer auch über Mehrfachdiskriminierungen bei Frauen (also z.B. über muslimische, lesbische, sozial schlechter gestellte Frauen) reden muss, klagten, Meßmer hätte als echte Feministin ihren Platz im TV-Studio einer mehrfach diskriminierten Person anbieten müssen.

Klingt kompliziert? Ist es auch – und eventuell mit ein Grund, warum sich das öffentliche Interesse an feministischer Theorie in Grenzen hält.


„Verruchte Heimatschnulze“. Charlotte Roche hat es da leichter. Die Autorin („Feuchtgebiete“) hat als Verkünderin des radikal persönlichen Feminismus fast Schwarzer'schen Promi-Status erworben. In ihrem Roman „Schoßgebete“ (laut Schwarzer eine „verruchte Heimatschnulze“) schreibt sie vom Versuch einer jungen Frau, ihren Mann glücklich zu machen – wenn der Arzt von Geschlechtsverkehr abrät, dann eben anal. Sie sei, erklärte sie einmal dem „Spiegel“, selbst „gehirngewaschen von der Erziehung meiner Mutter, was Siebziger-Jahre-Feminismus angeht, und für mich ist das eine Befreiung zu sagen: Ich interessiere mich für die Wünsche meines Mannes, ich will ihn glücklich machen ... Das klingt jetzt vielleicht Fünfziger-Jahre-peinlich, aber dass man einfach sagt: Entschuldigung, das ist aber so, ist vielleicht auch feministisch befreiend.“

Ob sich – umgekehrt – der Feminismus irgendwann von so viel subjektiver Intimität auch befreien wird? Vorerst muss die Rückkehr der Theorie jedenfalls noch warten.

Akteurinnen

Anne Wizorek. Die theoretischen Erwägungen der #aufschrei-Mitinitiatorin und Berliner Medienberaterin gingen im Twitter-Gewitter unter.

Marina Weisband. Die 1987 in Kiew geborene ehemalige Geschäftsführerin der Piraten ist durch ihre Erfahrung mit den Medien zur öffentlichen Feministin geworden.
Imago,Privat

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.03.2014)

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