EU-Gipfel: Was tun mit Putin?

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In Brüssel denkt man über Sanktionen nach, falls Russland nach der Ostukraine greift. Eine mögliche Strategie: "Kill the chicken to scare the monkey."

Brüssel. Wie bietet man Wladimir Putin Paroli? Diese alles andere als einfache Frage steht im Mittelpunkt des EU-Gipfels, der am gestrigen Donnerstag begonnen hat. Die Optionen der in Brüssel versammelten Staats- und Regierungschefs sind beschränkt, der Union gehen nämlich schön langsam Gegenmittel ohne nennenswerte Nebenwirkungen aus – sollte der russische Präsident weiter auf Eskalation in der Ukraine setzen, schlägt für Europa die Stunde der Wahrheit. Dann nämlich müsste die EU ihrem Anfang März beschlossenen dreistufigen Aktionsplan folgen und massive Wirtschaftssanktionen gegen Russland verhängen. Doch die Lust darauf ist enden wollend – und das ist noch vorsichtig formuliert.

Seit Montag gilt für die EU Sanktionsstufe zwei: Gegen 21 Personen, die an der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland beteiligt waren, wurden Einreiseverbote und Kontensperren verhängt. Gestern deutete alles darauf hin, dass die Union es vorerst bei der zweiten Stufe belassen wird – und das aus zwei Gründen: Erstens, weil die EU nur dann bis zum Äußersten gehen will, wenn Putin nach der Ostukraine greift. Realpolitisch scheint die Annexion der Krim vorerst einmal „eingepreist“ zu sein, wie diverse Stellungnahmen gestern suggerierten. Auch das gewaltlose Aufgeben von Stützpunkten auf der Krim durch die ukrainische Armee deutet darauf hin. Grund Nummer zwei: Europa ist organisatorisch (noch) nicht auf eine wirtschaftliche Konfrontation mit Russland vorbereitet. Zwar werden in europäischen Hauptstädten seit Tagen mögliche Folgen kalkuliert, doch bis dato gibt es keinen offiziellen Startschuss seitens der EU-Mitglieder für die Vorbereitung der dritten Sanktionsstufe.

Das dürfte sich nun ändern. Ein Mandat für die EU-Kommission, Varianten und Folgen der Wirtschaftssanktionen zu analysieren, galt gestern in Diplomatenkreisen als wahrscheinliches Ergebnis des Gipfeltreffens – ebenso wie die Ausweitung der Sanktionsliste. Nachdem sich die EU-Botschafter in dieser Frage nicht einigen konnten, mussten die Staats- und Regierungschefs in der Nacht zum Freitag entscheiden, wer noch zur Persona non grata erklärt wird – dem Vernehmen nach ging es um ein Dutzend Namen. Erwartet wurde, dass die EU den USA folgt und Kreml-Berater Wladislaw Surkow, den Putin-Propagandisten Dmitrij Kiselew sowie den russischen Vizepremier Dmitrij Rogosin auf ihre schwarze Liste setzt.

Auch auf symbolischer Ebene macht der Westen Druck. Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete gestern vor ihrer Abreise nach Brüssel, sie betrachte Russland nicht mehr als Mitglied des G8-Clubs der großen Industrienationen: „Solange das politische Umfeld für ein so wichtiges Format wie die G8 nicht gegeben ist, gibt es die G8 nicht mehr.“ Moskau war 1998 den G7 beigetreten.

Hendl, Affen und weiße Hüte

Was Wirtschaftssanktionen anbelangt, ist zumindest das Grundprinzip klar: Ihre Folgen für Europa müssen auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Frankreich etwa will die 1,2 Mrd. Euro schwere Lieferung von zwei Kriegsschiffen an die russische Marine nur dann abblasen, wenn Großbritannien im Gegenzug gegen Oligarchen in London vorgeht. Zugleich geht es darum, die zu erwartenden russischen Gegenmaßnahmen abzufedern. Die EU bezieht rund ein Drittel ihres Erdgases aus Russland, europäische Banken haben dort rund 110 Mrd. Euro ausständig.

Als mögliche Blaupause für Maßnahmen gegen Russland kommen die US-Sanktionen gegen den Iran infrage. Ihr Grundprinzip: größtmöglicher Schmerz bei möglichst geringen Auswirkungen auf Finanzmärkte und Ölpreis. Ziel der USA war es damals, sogenannte weiße Hüte (also westliche Firmen) von Geschäften mit dem Iran abzuhalten, die Iran-Deals der schwarzen Hüte (China und Indien) aber unangetastet zu lassen. Der Grund: Durch den Wegfall der westlichen Kunden musste Teheran seinen östlichen Abnehmern Preisnachlässe gewähren – mit desaströsen Folgen für das Budget. Eine weiterer strategischer Baustein trägt den plakativen Namen „Kill the chicken to scare the monkey“ – das Hendl schlachten, um dem Affen Angst einzujagen. Dabei geht es darum, an einer nicht systemrelevanten russischen Finanzinstitution ein Exempel zu statuieren, ohne die Abläufe an den Märkten zu stören. Der gestrige Beschluss der US-Regierung, die Sankt Petersburger Bank Rossija mit einem Bann zu belegen, weist definitiv in diese Richtung (siehe Artikel rechts).

Dass die russische Aggression langfristige Folgen haben wird, machte David Cameron klar. Der britische Premier lancierte im Vorfeld des Gipfels einen auf 25 Jahre angelegten Plan zur Energie-Unabhängigkeit der EU. London will die Förderung von Schiefergas und Lieferungen aus dem Irak und den USA forcieren, um Moskau in die Defensive zu drängen. „Was Russland (in der Ukraine, Anm.) getan hat, ist inakzeptabel“, sagte Cameron gestern.

DREISTUFENPLAN

Die EU hat sich auf einen dreistufigen Sanktionsplan gegen Russland verständigt. Bereits umgesetzt ist die Suspendierung der Gespräche über eine Visa-Liberalisierung (Stufe eins) sowie Einreiseverbote und Kontosperren für 21 Personen, die für die Annexion der Krim verantwortlich sind (Stufe zwei). Für die dritte Stufe – umfassende Wirtschaftssanktionen – gibt es noch kein Mandat. Als wahrscheinlichster nächster Schritt galt gestern die Aufnahme von weiteren Russen in die schwarze EU-Liste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.03.2014)

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