Afghanistan: Dreikampf um die undankbare Karzai-Erbschaft

(c) REUTERS (AHMAD MASOOD)
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Ein Mediziner, ein Augenarzt und ein Professor sind Favoriten für Präsidentenwahl. Zwölf Jahre regierte Hamid Karzai das Land, eine dritte Kandidatur versagte ihm die Verfassung.

Zum dritten Mal seit dem Sturz der Taliban im Herbst 2001 wählen die Afghanen einen Präsidenten – und zum ersten Mal steht am Samstag nicht der Name Karzai auf dem Wahlzettel. Zwölf Jahre regierte Hamid Karzai das Land, eine dritte Kandidatur versagte ihm die Verfassung. Seinem älteren Bruder Qayum, ursprünglich einem der knapp ein Dutzend Bewerber, entzog der Präsident seine Unterstützung, worauf der vor einem Monat seine Kandidatur zurückzog. Unter den inzwischen acht Aspiranten kristallisierten sich drei Favoriten heraus, die allesamt – zumindest eine Zeitlang – eine wichtige Rolle in der Karzai-Ära gespielt hatten.
Ein intellektueller Paschtune, der lange in den USA gelebt und dort unter anderem als Professor gelehrt hat, war Ashraf Ghani als Ökonom bei der Weltbank in Washington tätig. Als er aus dem Exil zurückkehrte, wurde er Finanzminister unter Karzai. Das US-Magazin „Time“ kürte Ghani sogar zu den besten Denkern der Welt.

Im Wahlkampf präsentierte er sich gern in traditionell afghanischer Tracht – mit Turban und Bart. Ob der anfangs beliebte Intellektuelle die Wahl tatsächlich für sich entscheiden kann, ist fraglich. Denn die Wahl seines Stellvertreters – niemand Geringerer als der berüchtigte usbekische Kriegsfürst Abdul Rashid Dostum – spaltet die Afghanen. Dostums usbekische Milizen waren einst bekannt dafür, Jagd auf Paschtunen zu machen. Nicht selten hat sich Dostum persönlich an Folter und Mord beteiligt. Dass der „Schlächter“ eine so hohe Position erringen könnte, ist vielen Paschtunen darum nicht geheuer. „Wenn Ghani stirbt, wird Dostum Präsident. Das will niemand“, lautet vielfach der Tenor auf der Straße.
Ebenfalls lange im Ausland und gleichfalls Paschtune, stößt Zalmay Rassoul auf mehr Zustimmung. Als Verwandter des letzten Königs Afghanistans begleitete er Mohammad Zahir in den 70ern ins Exil nach Rom und schloss dort sein Medizinstudium ab. Er versucht auch, mit dieser Verwandtschaft beim Wahlvolk zu punkten. Die italienischen Anzüge hat Rassoul abgelegt, stattdessen trägt er Turban und Volkstracht – auf den Wahlplakaten prangen Köpfe und Symbole des einstigen Königshauses.

Die Könige und ihren Hof zeichnete auch aus, dass sie Paschto – die Sprache der Paschtunen und neben Dari Amtssprache des Landes – nicht beherrschten. Rassoul wird diesem Klischee gerecht. Seine Italienischkenntnisse sind besser als sein Paschto. Ein Manko, das unter den paschtunischen Wählern, die die Mehrheit ausmachen, entscheidend sein könnte.

Währenddessen kam die offizielle Wahlkommission zum Schluss, dass Rassouls Wahlkampf alles andere als sauber abgelaufen ist. So wurde ihm unter anderem vorgeworfen, einige Bewohner der Provinz Kandahar regelrecht dazu gezwungen zu haben, seine Wahlkampfveranstaltungen zu besuchen. Sie verdonnerte Rassoul deshalb zu einer Strafe von 100.000 Afghani, rund 1200 Euro.
Die besten Karten könnte daher Abdullah Abdullah haben. Der Augenarzt und Ex-Außenminister wollte schon 2009 Präsident werden, unterlag allerdings Karzai, den er daraufhin des Wahlbetrugs bezichtigte. Hinter Abdullah, der zu den besten Freunden des 2001 ermordeten Nordallianz-Führers und Warlords Ahmad Schah Massoud gehörte, versammeln sich vor allem die tadschikische Bevölkerungsgruppe sowie die ehemaligen Anhänger der Nordallianz.

Der vor Kurzem verstorbene Vizepräsident, Mohammad Qasim Fahim, führendes Mitglied der Nordallianz und Kriegsfürst, soll von Abdullahs Sieg überzeugt gewesen sein. Unter anderem soll er gesagt haben, dass er Abdullah höchstpersönlich an die Hand nehmen und in den Arg (Präsidentenpalast) führen werde. Dass es der 60-Jährige in die Stichwahl schaffen wird, gilt als einigermaßen sicher.

Unterdessen haben die Taliban ihre Drohungen wahrgemacht. Zuletzt verübten sie eine Serie von Anschlägen – von Kabul bis Dschalalabad. Am Mittwoch, dem letzten Tag des offiziellen Wahlkampfs, sprengte sich ein Selbstmordattentäter vor dem Eingang des Innenministeriums in die Luft und riss mindestens sechs Polizisten mit in den Tod. Abdullah will von Gesprächen mit den Islamisten nichts wissen. Er und seine Wahlhelfer gerieten mehrfach in ihr Fadenkreuz. Ghani dagegen betrachtet die Taliban als „Teil der afghanischen Realität“, er ist offen für einen Dialog mit ihnen.

Für Taliban: „US-Handlanger“

Die Taliban selbst sehen zwischen den Kandidaten keinen Unterschied. Für die Extremisten ist jeder von ihnen ein „Handlanger der USA“ sowie ein „Feind des afghanischen Volkes“. In einer offiziellen Stellungnahme rief Taliban-Sprecher Zabiuallah Mujahed die Menschen zum Wahlboykott auf. Außerdem fügte er hinzu, dass man öffentliche Orte, an denen die Wahlen abgehalten werden, meiden solle. „Wir wollen keine Unschuldigen ins Visier nehmen“, ließ er unter anderem via Twitter verlauten.

Auf den Straßen Kabuls will man sich davon jedoch nicht einschüchtern lassen. In den vergangenen Tagen harrten zahlreiche Menschen in endlos langen Schlangen aus, um eine Wahlkarte zu ergattern, damit sie ihrer Wahlpflicht nachgehen können.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2014)

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