Ostukraine: Kiew droht mit Militär

Ukrainischer Panzer
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Konflikt. Professionelle Bewaffnete ohne Erkennungszeichen stürmten Polizeidienststellen. Das Vorgehen erinnert an den Einsatz russischer Spezialeinheiten auf der Krim. Kiew kündigte am Sonntag Gegenwehr an.

Es sind Männer, deren Mitmischen im Konflikt um die Ostukraine nichts Gutes bedeutet: In mehreren ostukrainischen Städten sind seit Samstagabend „grüne Männchen" gesichtet worden. „Grüne Männchen", so nennt man in der Ukraine jene bestens ausgestatteten Bewaffneten ohne Abzeichen, mit Sturmhauben und kugelsicheren Westen, die schon die Annexion der Krim durch Russland seit Ende Februar durchsetzten. Es steht zu vermuten, dass die einheitlich gekleideten Kämpfer Mitglieder russischer Speznas-Einheiten sind.

Eine Woche nach den eher improvisierten Besetzungen öffentlicher Gebäude in Charkiw, Donezk und Lugansk durch prorussische Aktivisten sind sie - wie zuvor auf der Krim - aus dem Nichts aufgetaucht. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach von einer „besorgniserregenden Entwicklung". Kiew will nun Beweise vorlegen, dass Moskau hinter den Vorgängen steht. Damit hat der Nervenkrieg um die Ostukraine eine neue Eskalationsstufe erreicht. Moskau erhöht den Druck vor den Verhandlungen in Genf im Viererformat zwischen EU, USA, der Ukraine und Russland am Donnerstag.

Gestern Abend erklärte Übergangspräsident Aleksandr Turtschinow, der Nationale Sicherheitsrat habe einen „vollständigen Antiterror-Einsatz" im Osten der Ukraine mit Hilfe der Armee beschlossen. Man werde es Russland nicht gestatten, „ein Krim-Szenario im Osten der Ukraine zu wiederholen". All jenen, die ihre Waffen bis Montagmorgen niederlegen würden, sicherte er Straffreiheit zu.

Konzertiertes Vorgehen

Gestern Abend erklärte Übergangspräsident Aleksandr Turtschinow, der Nationale Sicherheitsrat habe einen "vollständigen Antiterror-Einsatz" im Osten der Ukraine mit Hilfe der Armee beschlossen. Man werde es Russland nicht gestatten, "ein Krim-Szenario im Osten der Ukraine zu wiederholen". All jenen, die ihre Waffen bis Montagmorgen niederlegen würden, sicherte er Straffreiheit zu.

Russland reagierte mit einer Warnung auf die Aussagen: Kiew dürfe nicht gegen die Separatisten vorgehen. Man sei "empört über den verbrecherischen Befehl", teilte das Außenamt in Moskau am Sonntag mit.

Am Samstagabend hatten Dutzende Bewaffnete die städtischen Polizeidienstellen in den Kleinstädten Slawjansk und Kramatorsk gestürmt, die sich ebenfalls im industriell geprägten Donbass befinden. In Kramatorsk kamen die zwei Dutzend Bewaffneten in zwei Bussen an, näherten sich in der Gruppe der Dienststelle und feuerten Schüsse ab.

Ukrainische Spezialeinheiten starteten am Sonntagmorgen eine Antiterroraktion in Slawjansk. Sie versuchten, das Kommissariat zurückzuerobern – eine Operation, die am Sonntag noch andauerte. Es kam zu Schusswechseln. Ein Kommandant der Einheit "Alpha" wurde getötet, neun Sicherheitskräfte verletzt. Von einer "nicht identifizierbaren Anzahl" von Toten auf der Gegenseite sprach Innenminister Arsen Awakow auf seiner Facebook-Seite. Ukrainische Sicherheitskräfte entfernten zwei Straßenbarrikaden, über der Stadt kreisten Hubschrauber. Nach Angaben der ukrainischen Regierung verwendeten die Separatisten menschliche Schutzschilde, um weitere Angriffe abzuwehren.

Während die Einsatzkräfte mit dieser Aktion beschäftigt waren, fanden Übernahmen in anderen Städten statt: In Mariupol, Krasnyi Liman und Jenakiewo, der Heimatstadt von Ex-Präsident Viktor Janukowitsch, kam es zu Besetzungen; in Charkiw prügelten sich prorussische Demonstranten mit Vertretern der Euromaidan-Bewegung. In der Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer besetzten Demonstranten das Bürgermeisteramt, in Donezk das Polizeihauptquartier. Auffällig war – wie in den vergangenen Tagen –, dass sich die örtlichen Sicherheitskräfte passiv verhielten. Dass Kiew-loyale Strukturen in Bedrängnis sind, darauf deutet auch der Rücktritt des Polizeichefs des Gebietes Donezk hin.
In der Donbass-Metropole blieb das seit einer Woche besetzte Gebäude der Regionalverwaltung fest in der Hand prorussischer Kräfte. Vor dem Gebäude hielt sich der Zulauf allerdings in Grenzen – es waren nicht mehr als 2000 bis 3000 Demonstranten, die sich eingefunden hatten. „Das hat mit dem schlechten Wetter zu tun, und damit, dass busweise Aktivisten nach Slawjansk und in andere Orte aufgebrochen sind“, erklärte ein junger Mann. Mit Ausnahme von Verkehrspolizisten hatten sich die Sicherheitskräfte weitgehend aus dem Zentrum zurückgezogen.

Autoritäre Machthaber fürchten Putin

Wie sehr die russischen Bestrebungen für einen Regierungswechsel in der Ukraine bereits andere – ebenfalls nicht unbedingt demokratiefreundliche – Machthaber im postsowjetischen Raum beunruhigen, davon zeugt eine Aussage von Weißrusslands Präsidenten, Aleksandr Lukaschenko. Er betrachte den neuen Präsidenten Turtschinow und das Parlament in Kiew als "absolut legitim", sagte er zum russischen TV-Sender NTV. "Wenn die Ukraine ein einheitlicher Staat bleiben soll, und das wünsche ich mir das sehr (...), darf man keine Föderalisierung durchführen. Das wäre die baldige Spaltung der Ukraine." Ein schwacher Staat sei "für Weißrussland, Russland und für den Westen" gefährlich. Lukaschenko und Kasachstans Nursultan Nasarbajew betrachten die Ereignisse in der Ukraine mit Sorge, weil sie um ihre Hausmacht fürchten. In beiden Staaten gibt es bedeutende Anteile russischstämmiger Bürger.

(Die Presse" - Printausgabe vom 14.04.2014)

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