Analyse: Wieso das Militär der Ukraine so schwach ist

UKRAINE, Militär
UKRAINE, Militär(c) APA/EPA/KONSTANTIN IVANOV (KONSTANTIN IVANOV)
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Einsparungen, Defekte und Moralmangel hemmen die Macht der Regierung.

Mit ihrem Versuch, die abtrünnigen, russischsprachig dominierten Regionen im Osten des Landes durch eine Offensive der Sicherheitskräfte unter Kontrolle zu bekommen, ist die Regierung in Kiew vorerst gegen die Wand gefahren: Seit Dienstag, als die Aktionen von Armee, Einheiten des Innenministeriums und Nationalgarde begannen, wurde zwar ein Flugfeld bei Kramatorsk aus den Händen lokaler Milizen zurückerobert, dabei soll es mindestens drei Tote gegeben haben. Freilich wurden an mehreren Orten Militärkolonnen von Milizen und Zivilisten umzingelt und zur Umkehr gezwungen.

In Mariupol am Schwarzen Meer wurde in der Nacht auf Donnerstag eine Kaserne der Nationalgarde angegriffen, die Garnison wehrte sich, drei Angreifer fielen. Eine Fallschirmjägereinheit mit etwa 15 Schützenpanzern räumte Donezk angesichts der feindseligen Haltung der Bevölkerung. Und: Teile der ukrainischen Verbände dürften sogar desertiert sein.

Die Schwäche der ukrainischen Einheiten hat viele Gründe. Ein fundamentaler ist jener, den viele europäische Militärs kennen, darunter das Bundesheer: das Sparen und Abrüsten, verbunden mit einer sowohl politisch-sozialen als auch medialen Marginalisierung des militärischen Sektors seit Ende des Kalten Kriegs. Schließlich hat seitdem die These gegolten, dass es in Europa keine konventionelle Bedrohung mehr geben werde.

Enorme Schrumpfung

Also schrumpften auch die Streitkräfte der Ukraine enorm: 1991 zählten sie, als überzüchtetes Erbe der UdSSR, 800.000 Mann, 6500 Kampfpanzer, 7000 Schützenpanzer und 1500 Kampfjets. Rund 3800 Atomsprengköpfe wurden auseinandergebaut und/oder nach Russland überstellt. Heute zählt das Militär nur gut 120.000 Mann, etwa 60.000 davon im Heer. Es gibt etwa 750 Kampfpanzer und 2300 Schützenpanzer. Die Luftwaffe, vor der Krise 180 bis 200 Kampfflugzeuge stark, bringt bestenfalls 85 Maschinen hoch, der Rest ist flugunfähig oder wurde auf der Krim von den Russen gekapert.

2013 lag das Militärbudget bei 1,4 Milliarden Euro bzw. mageren 1,1 Prozent des BIPs. Russland wandte 4,1 Prozent auf (bzw. 50 Mrd. Euro), die USA 3,8 Prozent, Deutschland 1,4 Prozent, Österreich 0,6 Prozent. Zudem wurden seit 2010, dem Jahr des Amtsantritts des nunmehr gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch, Maßnahmen, das Militär zu sanieren und zu modernisieren, abgeblockt: Damals endete der Pro-Nato-Kurs der Ukraine, und Russland sei ein guter Alliierter, hieß es.

Auf strategischer Ebene hemmend ist die Dislozierung des Heeres, das zirka 16 aktive Brigaden, gegliedert in drei Korps, umfasst: Deren Basen stammen aus Sowjetzeiten, gedacht für Operationen nach Westen. Also stehen heute nur vier Brigaden östlich des Dnjepr, und davon nur zwei – die 25. Luftlande- und die 92. mechanisierte Infanteriebrigade – im Kernkrisengebiet ganz im Osten.

Es mangelt an allem

Verlegungen sind aber nicht nur ob der großen Distanzen schwierig und langwierig: Es herrscht Engpass bei Kraftstoff, der mobile Aktionen erschwert. Für die Aufrechterhaltung und Sicherung der Nachschubwege für die Truppen vor Ort müssen wiederum andere Einheiten eingesetzt werden, die somit an der eigentlichen Front fehlen.

Der technische Zustand praktisch aller schwerer Waffen und vieler Transportmittel ist dürftig, wie sich nicht nur anhand der Luftwaffe zeigt. Beobachter berichten seit Jahren von veralteten Systemen, Wartungsmängeln, Schlampigkeiten und mangelnden Ersatzteilen. In internen Untersuchungen des Militärs wurde auch festgestellt, dass es bei Munitionstransport und -lagerung zu Nachlässigkeiten kommt. Munition geht oft „verloren“, vor allem bei Manövern und Übungen mit Reservisten wird von Plünderungen der Arsenale berichtet – was auch erklärt, wieso jetzt allerorts bewaffnete Milizen wie Pilze aus dem Boden schießen.

Hoffnung auf Nationalgarde

Apropos Reservisten: Zwar dürfte es zwischen 575.000 und einer Million geben, allerdings gehen Beobachter von bestenfalls 100.000 feldtauglichen Männern aus, um deren militärische Fähigkeiten es schlecht bestellt sein dürfte. Das zeigt sich auch bei der Gründung der neuen „Nationalgarde“: Diese von der neuen Regierung initiierte Truppe soll einmal 60.000 Soldaten umfassen – derzeit sind es ca. 4000, die man nach einem nur zweiwöchigen, Beschreibungen zufolge „lächerlichen“ Training glaubt, ausreichend ausgebildet zu haben.

Die Truppe ist zwar ethnisch praktisch rein ukrainisch und wohl verlässlicher als Einheiten, in denen auch russischstämmige Ukrainer dienen, die zum Überlaufen neigen. Allerdings ist die Garde leicht bewaffnet. Ein erstes Bataillon davon wurde nach Mariupol verlegt, wo es angegriffen wurde. Man wird sehen, wie gut es sich hält.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.04.2014)

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