Erdoğan plant bereits seinen Wahlkampf – in Westeuropa

Erdogan addresses members of parliament from his ruling AK Party during a meeting at the Turkish parliament in Ankara
Erdogan addresses members of parliament from his ruling AK Party during a meeting at the Turkish parliament in Ankara(c) REUTERS (UMIT BEKTAS)
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Offiziell ist der Premier noch nicht einmal Kandidat für die Präsidentenwahl im August. Doch er bemüht sich bereits um die Auslandstürken, vor allem in Deutschland.

Istanbul. Westeuropa wird zur Bühne des türkischen Präsidentschaftswahlkampfes: Premier Recep Tayyip Erdoğan plant nach übereinstimmenden Medienberichten mehrere Wahlkampfauftritte in Deutschland und anderen westeuropäischen Staaten. Den Auftakt soll im Mai eine Rede in Köln bilden – in der Stadt, wo er im Jahr 2008 mit seiner Warnung vor einer „Assimilierung“ der Türken in der Bundesrepublik für einen Skandal sorgte.

Erdoğans Pläne für Wahlkampfauftritte im Ausland bilden ein weiteres Indiz dafür, dass der 60-Jährige bei der Wahl im August als Präsidentschaftsbewerber antritt, auch wenn er seine Kandidatur noch nicht offiziell erklärt hat. Bei Amtsinhaber Abdullah Gül wächst unterdessen die Verärgerung über Erdoğans Verhalten in dieser Frage.

Die Wahl am 10. August ist in mehrfacher Hinsicht eine Premiere. Zum ersten Mal bestimmen die rund 50 Millionen türkischen Wähler ihr Staatsoberhaupt direkt. Bisher wurde der Präsident vom Parlament gewählt. Und zum ersten Mal können die rund 2,6 Millionen türkischen Wähler im Ausland ihre Stimme am Wohnort abgeben – bisher mussten sie dazu in die Türkei reisen. Wegen dieser Hürde sank die Wahlbeteiligung der Auslandstürken zuletzt auf fünf Prozent. Heuer wird dagegen mit einem Ansturm der Wähler auf Konsulate und Botschaften gerechnet, die als Wahllokale genutzt werden sollen.

Deutschland ist mit rund 1,5 Millionen türkischen Wählern das wichtigste europäische Land für Erdoğan und andere Wahlkämpfer. Der Premierminister plant auch Veranstaltungen in den Niederlanden und in Frankreich. Nach einem Bericht der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“ denkt er an Auftritte in Fußballstadien, um vor möglichst vielen Wählern sprechen zu können. Ob er auch in Österreich, wo rund 110.000 türkische Wähler leben, um Stimmen werben will, war am Montag nicht bekannt. Bei den Oppositionsparteien gibt es derzeit weder Kandidaten noch Überlegungen für Wahlkampfveranstaltungen in Westeuropa.

Gül geht auf Distanz zu Erdoğan

Eine Kandidatur des Premiers gilt seit seinem Sieg bei den Kommunalwahlen Ende März als so gut wie sicher. Erdoğan hatte vergangene Woche gesagt, er würde als Präsident alle Befugnisse des Amtes ausschöpfen. Dazu gehört, dass er laut einer Ausnahmeklausel der Verfassung als Staatschef auch die Sitzungen des Kabinetts leiten könnte. Unter einem Präsidenten Erdoğan wäre der Premier also nur ein Erfüllungsgehilfe. Dafür will sich Abdullah Gül offenbar nicht hergeben: Der 63-Jährige erklärte, „unter den derzeitigen Bedingungen“ habe er keine Pläne für eine Rückkehr in die aktive Politik.

Güls Äußerung ist ein Zeichen für die wachsenden Spannungen zwischen ihm und Erdoğan. Gül betonte ausdrücklich, niemand habe das Präsidentenamt bereits „in der Tasche“ – eine klare Anspielung auf Bemühungen von Erdoğans Gefolgsleuten, eine Kandidatur des Premiers als unausweichlich darzustellen. Laut Umfragen hätte Erdoğan gute Chancen, im ersten Wahlgang mehr als 50 Prozent zu erhalten. Gül könnte vermutlich noch mehr Stimmen gewinnen.

Gegner werfen Erdoğan vor, er wolle ein Präsidialsystem ohne wirksame Kontrollmechanismen etablieren, obwohl das Land laut Verfassung eine parlamentarische Demokratie ist. Der Premier lässt sich durch die Kritik aber nicht beeindrucken. „Das System hat sich geändert“, soll er bei einem AKP-Treffen hinter verschlossenen Türen gesagt haben.

AUF EINEN BLICK

In der Türkei wird am 10. August ein neuer Präsident gewählt. Erstmals wird das Staatsoberhaupt in einer Volkswahl bestimmt. Premier Recep Tayyip Erdoğan hat bisher zwar noch nicht definitiv seine Kandidatur erklärt, sie gilt jedoch nach seinem Triumph bei den Kommunalwahlen im März als so gut wie sicher. Der amtierende Präsident Abdullah Gül könnte Umfragen zufolge aber mehr Stimmen gewinnen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.04.2014)

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