Rückkehr des Regimes. Während moderatere und radikale Rebellengruppen einander in heftigen Gefechten zerfleischen, sind die Truppen des syrischen Diktators auf dem Vormarsch. Das Land ist weitgehend zerstört.
Syriens Diktator Bashar al-Assad setzt auf Durchmarsch: Man habe einen Wendepunkt erreicht – militärisch und im Kampf gegen den Terror, erklärte er kürzlich einer Delegation aus Russland. Bis Ende des Jahres sei „die aktive Phase“ auf dem Schlachtfeld vorbei. Und am Osterwochenende tourte er durch das halb zerstörte christliche Pilgerdorf Maaloula, das seine Truppen gerade zurückerobert hatten, ließ sich von Soldaten feiern und rief den Bewohnern zu, man werde Syrien zusammen wiederaufbauen. So gut gelaunt hatte er sich lange nicht mehr gegeben.
Assad fühlt sich auf der Siegerstraße. Seine Truppen sind an vielen Fronten auf dem Vormarsch, auch wenn die Rebellen weiterhin beträchtliche Landstriche im Norden kontrollieren. Und so will sich Assad nun am 3.Juni auch für eine dritte, siebenjährige Amtszeit wiederwählen lassen – ein Vorhaben, das die USA und die EU als „Parodie der Demokratie“ kritisiert haben. Die syrische Opposition verurteilte die Pläne des Machthabers als Farce.
Die komplette Eroberung der Rebellenhochburg Homs scheint nur noch eine Frage der Zeit. Aus Aleppo melden Beobachter die heftigsten Angriffe von Regierungstruppen seit fast zwei Jahren. Systematisch bombardiert die syrische Luftwaffe im ganzen Land Wohnviertel mit ihren berüchtigten Fässerbomben. Nach westlichen Informationen kam es erstmals seit August 2013 wieder zu Angriffen mit chemischen Substanzen auf die Zivilbevölkerung, als Kampfhubschrauber über dem Dorf Kafr Zita nahe Hama offenbar mit Chlorgas gefüllte Bomben abwarfen. Die Chemiewaffenbestände Syriens sind nach Angaben der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) mittlerweile zu 65 Prozent außer Landes gebracht. Ihre Verschiffung soll bis Ende Juni abgeschlossen sein.
Aber auch international, so kalkuliert das Regime, lässt der Druck nach. Europa und die USA sind durch die Krise in der Ukraine gebunden. US-Präsident Barack Obama weigert sich nach wie vor, den Rebellen Boden-Luft-Raketen zu liefern und ihnen so zu einem entscheidenden Vorteil im Bürgerkrieg zu verhelfen. Allerdings tauchten in den vergangenen Wochen erstmals Videos auf, die Kämpfer mit panzerbrechenden US-Raketen zeigen – offenbar ein Pilotprojekt zur Bewaffnung, mit dem die USA prüfen wollen, ob die moderateren Rebellengruppe solche brisanten Waffen unter Kontrolle halten können. Denn die Gefechte zwischen moderaten und radikalen Rebellen sind in Teilen des Landes längst heftiger als gegen die Einheiten des Regimes.
Um 30 Jahre zurückgeworfen
150.000 Menschen haben bisher ihr Leben verloren, über 600.000 wurden verletzt. Beträchtliche Teile der Infrastruktur sind zerstört, knapp die Hälfte der Bevölkerung ist obdachlos oder auf der Flucht. Der syrische Wirtschaftsexperte Jihad Yazigi, der Syriens Kriegswirtschaft in einer Studie für den European Council on Foreign Relations analysiert hat, spricht von einer Zerstörung vergleichbar mit dem Niveau des Zweiten Weltkriegs. Selbst wenn der Konflikt auf der Stelle gestoppt würde und die Wirtschaft jedes Jahr um fünf Prozent wachse, „würde die syrische Wirtschaft dreißig Jahre brauchen, um wieder das Niveau von 2010 zu erreichen“.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2014)