Nordkorea: Land der Schattenwirtschaft

Nur zaghaft lässt das Regime eine ökonomische Öffnung zu. Die Menschen haben nach langen Entbehrungen große Findigkeit entwickelt, um zu überleben.

Im Casino ist zur frühen Abendstunde nicht viel los. Nur ein Black-Jack-Tisch ist besetzt: Drei Spieler warten gespannt, dass der Croupier seine Karten aufdeckt. Einer von ihnen, ein Mann mit kurzem schwarzen Haarschopf, rotem Polohemd und dunkler Trainingshose, lässt sieben rote Chips im Wert von je 1000 Euro in seiner Hand hin- und hergleiten. Er verliert – und verzieht keine Miene. „Das sind Chinesen“, flüstert einer der Croupiers. „Die machen hier immer die höchsten Einsätze.“

Das Casino im Yanggakdo-Hotel von Pjöngjang: Es gehört – neben Bars und Restaurants der wenigen Ausländerhotels von Pjöngjang – zu den wenigen Orten, an denen sich ausländische Besucher Nordkoreas am Abend zerstreuen können. In diesen Enklaven sind sie unter sich, betreut von sorgsam ausgewählten einheimischen Reiseleitern und Funktionären, abgeschottet von der normalen Bevölkerung.

Seit fünf Jahren versucht der „Große Führer Genosse General Kim Jong-il“ verstärkt Investoren und Touristen nach Nordkorea zu locken. So will er nach Jahrzehnten von Misswirtschaft und Naturkatastrophen die Wirtschaft retten. Im Gegensatz zu den chinesischen Nachbarn will er dabei aber nicht seinen eisernen Griff um die Bevölkerung lockern.

Nur die Elite hat Devisen

Noch ist es eine überschaubare Menge von Geschäftsleuten aus dem Ausland, die ihr Glück in Nordkorea versuchen: Gerade zwölf europäische Firmen vertritt zum Beispiel die „European Business Association“ von Pjöngjang. Ihr Geschäftsführer ist der Schweizer Felix Abt, der vor fünf Jahren als Vertreter des ABB-Konzerns aus Vietnam nach Nordkorea kam: „Ich wollte noch etwas Spannendes erleben, bevor ich mich zur Ruhe setze“, berichtet er im Café des Yanggakdo-Hotels.

„Weil es so kalt war und wir wenig Strom hatten, bin ich im ersten Jahr oft abends um acht in den Schlafsack gekrochen“, erinnert sich der 52-Jährige mit dem grauen Schnauzbärtchen an seinen ersten Winter. Seither habe sich viel verändert: „Jetzt gibt es doppelt so viele Autos und Fahrräder und den Tongil-Markt, auf dem man alles kaufen kann.“

„Alles kaufen“ kann sich allerdings nur, wer das Geld dazu hat – und das bedeutet: Zugang zu Euro, Dollar oder chinesischen Renminbi. Denn von den Gehältern allein kann niemand leben. So verdient ein leitender Arzt in einem führenden Krankenhaus rund 3000 Won im Monat (rund ein Euro nach Schwarzmarktkurs). Dafür kann er sich allenfalls zehn Portionen Vanille-Eis am Stiel oder ein paar Äpfel auf dem Markt kaufen.

Devisen besitzt nur die Elite der Nordkoreaner. Dazu zählen Reisekader und jene Bürger, die Verwandte in Japan, China oder Südkorea haben. Die Behörden veröffentlichen keine glaubwürdigen Statistiken und behandeln auch Alltägliches als Staatsgeheimnis, um die Fassade der umfassenden Versorgung aufrechtzuerhalten.

Es sind wohl vor allem die Öl- und Dünger-Lieferungen aus China und Südkorea, Überweisungen der Auslandskoreaner in Japan und amerikanische Lebensmittelhilfen, die das Regime am Leben erhalten. Außerdem besitzt Nordkorea Goldminen.

Versorgung bleibt prekär

Von einer Hungerkatastrophe wie Mitte der Neunzigerjahre, als Hunderttausende oder gar Millionen Nordkoreaner starben, ist nicht mehr die Rede. Doch die Versorgung vor allem in den Industriestädten des Nordostens, deren Fabriken still liegen, bleibt prekär. „Dort leiden die Leute sehr“, sagen Helfer. Weil die meisten Böden ausgelaugt, karg und steinig sind, wächst in Nordkorea selbst in guten Zeiten nicht genug Getreide für die 20 Millionen Bewohner des Landes. 60 Prozent sind Städter.

Das Regime duldet freie Märkte, in denen sich die Leute ihre Lebensmitteln und Haushaltsbedarf kaufen. Sie entstanden, als das öffentliche Versorgungssystem weitgehend zusammenbrach. Wie zuwider Kims Generälen diese kapitalistischen Enklaven freilich sind, zeigt sich daran, dass sie vor den Augen ausländischer Besucher möglichst versteckt werden sollen.

So viel ist deutlich: Die Nordkoreaner haben nach vielen Jahren der Entbehrung große Findigkeit entwickelt, um zu überleben. „Es gibt eine riesige Schattenwirtschaft“, sagt ein Diplomat. „Niemand lebt allein von seinem offiziellen Einkommen.“ Das bedeutet: Der Arzt repariert nebenher Computer, die Lehrerin gibt privat Klavierunterricht, die Buchhalterin führt zu Hause einen Kosmetik- oder Friseursalon, ihre Freundin betreibt in der Wohnung ein kleines Restaurant, der Schwager schreinert auf Bestellung Möbel, die Cousine geht mit dem Rucksack aufs Land hamstern.

Auf manchen Balkons von Pjöngjang stehen nicht nur Blumentöpfe, sondern Hühner- und Kaninchenkäfige. Rentner, die keine staatlichen Rationen mehr erhalten, ziehen Pilze und sogar Schweine auf dem Balkon. Vor allem denen, die in Nordkorea nicht zu den rund drei Millionen privilegierten Hauptstädtern gehören oder die kein Privatgärtchen besitzen, geht es „immer noch sehr schlecht“, sagen Kenner.

Der Schweizer Geschäftsmann Abt gehört aber zu jenen, die glauben, dass Nordkorea eines Tages dem Vorbild Chinas und Vietnams folgen wird, deren kommunistische Parteien das Land geöffnet und die Wirtschaft erfolgreich reformiert haben: „Wenn sie nur wollen, können die Nordkoreaner das auch, sie sind mindestens ebenso fähig.“ Die Voraussetzungen für einen Aufschwung seien gut, sagt er: „Das Land ist reich an wertvollen Mineralien und Erzen, hat eine lange Industrietradition. Seine Software-Ingenieure gehören zur Weltklasse.“

Andere beurteilen die Zukunft weniger optimistisch. Zu oft in den vergangenen Jahren hat das Regime gezeigt, dass es trotz zaghafter Reformversuche nicht bereit war, den eisernen Griff um die Gesellschaft zu lockern.

Hyperaktive Chinesen

Seitdem sich die Nordkoreaner bei den Sechs-Parteien-Gesprächen in Peking bereit erklärt haben, ihren Atomreaktor abzubauen, spürt Abt aber größeres Interesse an Kontakten. Die Chinesen sind schon da. Sie haben in den letzten Jahren hunderte Firmen in Nordkorea gegründet. Abt: „Es gibt nichts, wo die Chinesen nicht aktiv sind.“ Sogar Autos lassen chinesische Firmen in Nordkorea inzwischen zusammenbauen.

Der große Stolz des Kim-Reichs ist jedoch der Pyonghwa, der erste eigene Personenwagen des Landes. Montiert wird der Fiat-Siena-Nachbau in der Küstenstadt Nampo – eine Investition der rechten südkoreanischen Mun-Sekte, deren Gründer sich gut mit dem 1994 verstorbenen Kim Il-sung verstand und ihm zahlreiche Projekte finanzierte.

Auf der Straße allerdings ist der Pyongwha zwischen alten Volvos, Mercedes-Limousinen und neueren japanischen Modellen kaum zu entdecken. Auch die mächtigen Generäle um den Großen Führer Kim mögen sich bisher nicht mit dem Pyonghwa bescheiden: Zur großen Parade zum 75. Gründungstag der Volksarmee ließen sie sich lieber in ihrer neuen Wagenflotte chauffieren: weiße Volkswagen-Passat.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2007)

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