Die Stunde des „Scharfmachers“ Schäuble

(c) AP (Fritz Reiss)
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Innenminister fordert Einsatz der Bundeswehr im Inneren, Videoüberwachung, Online-Durchsuchung.

BERLIN. Seine Kritiker haben ihn stets im Generalverdacht des Scharfmachers. Aus ihrer Sicht will Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) Deutschland Zug um Zug in einen „Überwachungsstaat“ verwandeln, in dem Verbrechensbekämpfung Vorrang hat vor den angestammten Bürgerrechten.

Doch mit dem Anwachsen der Terrorbedrohung verstummen die Stimmen der notorischen Bedenkenträger. Noch vor zehn Tagen haben die eindringlichen Terrorwarnungen des Innenministeriums die Vermutung genährt, sie könnten dazu dienen, die Pläne des Ministers durchzusetzen. Das Szenario eines Anschlags in „allernächster Zeit“ und der Vergleich mit der Gefahrenanalyse vor dem 11. September 2001 stießen auf Skepsis. Selbst der als Hardliner bekannte bayrische Innenminister Günther Beckstein tat die Warnungen als Übertreibung ab.

Nach den jüngsten Attentatsversuchen in Großbritannien fühlt sich Schäuble bestätigt. Den Vorwurf der Panikmache wies er von sich: „Die Lage ist ernst. Es gibt keinen Grund, die üblichen politischen Spiele zu machen.“

Schäubles „Lieblingsprojekt“, die Option für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren, hat nun sogar eine prominente Unterstützerin gefunden, die sich bisher bedeckt gehalten hatte: Kanzlerin Angela Merkel hat dafür plädiert, die Bundeswehr nicht wie bisher nur in Ausnahmefällen – wie zuletzt beim G-8-Gipfel in Heiligendamm – in Stellung gehen zu lassen. Eine Trennung in äußere und innere Sicherheit sei obsolet, erklärte Merkel. Die Frage rührt an ein Verfassungsdogma und ist innerhalb der großen Koalition heiß umstritten. Ebenso umstritten ist die beharrliche Forderung Schäubles nach einer Ausweitung der Videoüberwachung und einer Online-Durchsuchung. In beiden Punkten bahnt sich aber eine Aufweichung der SPD-Position an.

Vor allem die Opposition sperrt sich gegen eine Verschärfung. Die FDP ist nur für eine gezielte, keineswegs jedoch für eine flächendeckende Videoüberwachung wie etwa in London. Sie stützt sich auf die Argumentation, wonach Videokameras im öffentlichen Raum bei der Aufklärung hilfreich seien, nicht jedoch für die Prävention.

Videoaufnahmen am Kölner Bahnhof hatten im Vorjahr auf die Spur der beiden libanesischen „Kofferbomber“ geführt, deren Sprengfallen nicht gezündet haben.

Erst kürzlich hat sich der Innenminister überdies für den Aufbau einer europaweiten Fluggastdatei ausgesprochen, wie sie in den USA bereits besteht. Es sei unverantwortlich, Passagierinformationen nicht zur Terrorabwehr auszuwerten, sagte Schäuble.

Anschläge „in naher Zukunft“

Wie ernst die deutschen Behörden die Terrordrohungen nehmen, belegt die Tatsache, dass erstmals seit Herbst 2001 wieder die so genannte „Sicherheitslage“ zusammengekommen ist – das sicherheitspolitische Küchenkabinett.

Auch Konrad Freiberg, Chef der Polizeigewerkschaft, rechnet mit schweren Anschlägen „in naher Zukunft“. In Deutschland lebten momentan rund 100 „Gefährder“. Drei aus dieser als potenzielle Attentäter eingestuften Gruppe sind kürzlich bei Grenzkontrollen in Pakistan und Afghanistan ins Netz gegangen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2007)

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